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X. Krankheiten

  1. Wenn eine weise Frau sagt, dass ein Kind das Mass verloren hat, d. h. also, wenn ihm ein Arm oder ein Bein beim Wüchse zurükgeblieben ist, so muss man das betreffende Glied mit Hunde- oder Gänsefett einreiben. Darauf muss man in einen Blumentopf Hafer pflanzen. Geht der Hafer auf, so ist das betreffende Glied im Wüchse nachgekommen, geht er aber nicht auf, so muss man den zu kurzen Arm oder das zu kurze Bein aufs Neue einreiben.
  2. Wenn sich ein Kind erschrocken hat, so muss man es an einem Dienstag oder an einem Freitag verwaschen. Zum Verwaschen muss man Verwaschkraut nehmen, welches am Johannisabend gepflückt ist. Von dem Verwaschkraut muss man eine Suppe oder einen Thee kochen: davon muss man dem Kinde und der Mutter oder der Amme des Kindes drei Theelöffel voll eingeben, den Rest des Thees im Löffel aber dem Kinde über den Kopf giessen. Darauf muss man dem Kinde den rechten Arm und das linke Bein, oder den linken Arm und das rechte Bein mit dem Thee waschen. Man darf aber weder den Arm noch das Bein abtrocknen. Will man erfahren, ob das Verwaschen geholfen hat, so muss man den Rest des Thees oder der Suppe in einen Topf giessen und denselben dann unter die Wiege oder unter das Bett stellen. Ist das Abgekochte am andern Morgen trübe, so hat das Verwaschen geholfen, ist es aber hell, so hat es nicht geholfen und man muss später noch einmal verwaschen.
  3. Wenn ein Kind einen Schreck gehabt hat und man will es vor den üblen Folgen desselben bewahren so muss man die Stirn des Kindes belecken und nach jedem Lecken über die Stirn ausspucken.
  4. Wem ein Kind in die Zeit des Zahnens gekommen ist, so muss man Anblicks- oder Angesichtskorner (Semen paeoniae) auf eine Schnur reihen und dieselbe dem Kinde um den Hals hängen. Hat man das gethan, so ist dadurch das Kind vor den Krankheiten geschützt; welche bei dem Zahnen sonst einzutreten pflegen.
  5. Wenn ein Kind den Krampf hat so muss man demselben den Kamm eines Gestorbenen unter den Kopf legen. Hat man das gethan, so hört der Krampf sofort auf.
  6. Wenn ein Kind an Krampfen leidet, so muss man ein Hemd von ihm nehmen, dasselbe an eine Mühle tragen und, wenn die Mühle geht, in das Rad werfen. Sobald dann das Hemd im Wasser vergeht, verlieren sich auch die Krämpfe.
  7. Wenn ein Kind an Krämpfen leidet, so muss Jemand, welcher das Kind früher noch nicht gesehen hat, dem Kinde in die grosse Zehe beissen. Ist das geschehen, so verlieren sich die Krämpfe.
  8. Wenn ein Kind einen schlimmen Hals hat, so muss man einen Kuhfladen braten und denselben dem Kinde eingeben.
  9. Wenn viele Leute mit einem Male auf ein Kind blicken, so nimmt es davon einen Schaden. Um das Kind vor den Folgen des Anblickes zu bewahren, muss man es belecken.
  10. Wenn ein Kind einen Schreckstein auf der Brust trägt, so wird es durch denselben vor Krankheiten, besonders dem bösen Wesen, behütet.
  11. Wenn man das Blut von einem Maulwurf in den Schnaps mischt, so lindert das Getränk alle Krankheiten.
  12. Wenn man Auermannshamisch (Radix victorialis long.) auf der Brust trägt, so schützt er vor ansteckenden Krankheiten.
  13. Wenn ein Kranker im Hause ist und man will ihm helfen, so muss man ihn mit angebranntem Grase beräuchern. Das Gras muss man aber auf dem Kirchhof vor Sonnenaufgang oder nach Sonnenuntergang schweigend von einem frischen Grabe pflücken, indem man dabei von neun bis eins rückwärts zählt
  14. Wenn Jemand schwer krank ist, so nimmt man geräucherten Speck von einem Borkschwein, reibt damit die Fusssohle des Kranken ein und giebt den Speck darauf einem Hunde. Frisst der Hund den Speck, so wird der Kranke wieder gesund, frisst er ihn nicht, so stirbt der Kranke bald.
  15. Wenn man einen Schreck bekommen hat, so dass man dadurch krank geworden ist, so muss man Blätter von Dorant (oder Worant) trocknen und einnehmen. Hat man das gethan, so vergeht die Krankheit.
  16. Wenn Jemand durch einen Andern einen solchen Schreck bekommen hat, dass er krank geworden ist, so muss er von dem Wasser trinken, in welchem sich Derjenige gewaschen hat, von dem der Schreck herrührt.
  17. Wenn man sich heftig erschrocken hat, so muss man dreimal oder neunmal ausspucken, und zwar ist das Ausspucken besonders wirksam, wenn es über die linke Schulter geschieht.
  18. Wenn man durch einen Hund einen Schreck bekommen hat, so muss man sich von dem Hunde Haare verschaffen, dieselben verbrennen und dann die Asche in die Suppe thun. Dann muss man die Suppe essen. Hat man das gethan, so kann Einem der Schreck nichts anhaben.
  19. Wenn man etwas Böses am Finger gehabt und einen Lappen darum getragen hat, so muss man, wenn das Böse gewichen ist, den Lappen verbrennen. Hut man das zu thun versäumt, so kehrt das Uebel wieder.
  20. Wenn zwei Leute zusammen ausgehen und es begegnet ihnen Jemand, welcher etwas Ausgefahrenes hat, so bekommt das nicht der, welcher sich davor ekelt, sondern sein Begleiter.
  21. Wenn man eine Wunde hat, so muss man die Blätter der Schafgarbe klopfen und dann den Brei auf die Wunde legen. Geschieht das, so heilt die Wunde bald.
  22. Wenn man eine Wunde hat, so muss man dieselbe von einem Hunde auslecken lassen. Thut man das, so heilt die Wunde schnell zu.
  23. Wenn man eine Wunde hat, welche nicht heilen will, so muss man fortan alles Geld mit der linken Hand ausgeben und mit der rechten einnehmen. Hat man das eine Zeit hindurch gethan, so heilt die Wunde.
  24. Wenn Jemand ein Feuermaal besitzt, so muss er, um dasselbe zu beseitigen, mit der Hand eines todten Kindes darüber streichen.
  25. Wenn man ein Maal vertreiben will, so muss man auf dasselbe ein Stück Kochfleisch legen und es eine Nacht darauf liegen lassen. Am folgenden Morgen muss man das Kochfleisch in ein Haus tragen, in welchem sich eine Leiche befindet. Der Leiche muss man das Fleisch unter den linken Arm legen. Wenn dann die Leiche im Grabe und mit ihr das Fleisch vergeht, so verschwindet auch das Maal.
  26. Wenn man ein Gewächs vertreiben will, so muss man mit einem Krötenstein darauf drücken.
  27. Wenn man seine Warzen vertreiben will, so muss man sie mit dem Blute einer Taube, welcher man den Kopf abgerissen hat, bestreichen, indem man dabei spricht: „Im Namen Gottes„ u. s. w.
  28. Wenn man Warzen hat und man will dieselben vertreiben, so muss man Auskehricht nehmen, damit dreimal kreuzweis auf die Warze drücken und dabei sprechen: „Im Namen Gottes'' u. s. w.
  29. Wenn man seine Warzen vertreiben will, so muss man die Hand einer Leiche nehmen und damit über die Warzen streichen.
  30. Wenn man seine Warzen vertreiben will, muss man einen Faden nehmen und in dem Augenblick, in welchem die Uhr anfingt, zwölf zu schlagen, Knoten in den Faden machen. Die Knoten muss man machen, so lange die Uhr schlägt. Dabei muss man sprechen: „Im Namen Gottes“ u. s. w. Hat man das gethan, so muss man den Faden unter einer Dachtraufe vergraben. Vergeht der Faden, so vergehen auch die Warzen.
  31. Wenn man seine Warzen vertreiben will, so muss man Fleisch stehlen, mit dem gestohlenen Fleisch dreimal kreuzweis auf die Warzen drücken und dazu die Worte sprechen: „Im Namen Gottes“ u. s. w. Darauf muss man das Fleisch unter eine Dachtraufe vergraben. Vergeht das Fleisch, so vergehen auch die Warzen.
  32. Wenn man viel Warzen hat und will dieselben los sein, so muss man eine weiße Zwiebel zerschneiden und dann mit der einen Hälfte dreimal kreuzweis auf die Warzen drücken. Dabei muss man sprechen: „Im Namen Gottes“ u. s. w. Darauf muss man die beiden Zwiebelhälften zusammenklappen und vergraben. Sobald die Zwiebel verfault, schwinden die Warzen.
  33. Wenn man einen dicken Hals oder einen Kropf hat und man will das Uebel beseitigen, so muss man einen Krötenstein darauf drücken.
  34. Wenn man einen Kropf oder dicken Hals hat, so muss man auf eine Nacht einer Leiche ein Band um den Hals binden: das Band bindet man dann selbst auf eine Nacht um. Darauf nimmt man das Band und giebt es der Leiche mit in das Grab. Wenn die Leiche verwest, so vergeht auch der Kropf oder der dicke Hals.
  35. Wenn man Geschwüre vertreiben will, so muss man die schmerzende Stelle mit der Hand einer Leiche bestreichen.
  36. Wenn man an Kopfschmerzen leidet, so muss man dagegen einen Thee aus Weihrauch und Myrrhen trinken.
  37. Wenn man an Kopfschmerzen leidet, so muss man die Hälfte einer sauren Gurke auf den Kopf legen. Hat man das gethan, so vergehen die Schmerzen.
  38. Wenn man an Kopfschmerzen leidet, so muss man, um dieselben zu verlieren, einem mádwédk (Gerstwurm, Werre, Engerling, Maulwurfsgrille) den Kopf abbeissen.
  39. Wenn man Zahnschmerzen hat so muss man einer Leiche ein Tuch auf den Mund legen. Nachdem es einige Zeit darauf gelegen hat muss man es nehmen und auf die Backe legen und zwar auf die Seite, wo sich der schmerzende Zahn befindet.
  40. Wenn man sich gewaschen hat und man trocknet die Hände eher ab als das Gesicht, so bekommt man nie Zahnschmerzen.
  41. Wenn man Zahnschmerzen hat, so muss man des Nachts in dem Augenblick, in welchem es zwölf schlägt, dreimal in das Schlüsselloch der Kirchenthür blasen; hat man das gethan, so vergehen die Schmerzen.
  42. Wenn man Zahnschmerzen hat, so muss man mit einer Nadel oder einem Nagel so lang in dem kranken Zahn herumstochern, bis derselbe blutet. Alsdann muss man an einem Charfreitage schweigend zu einer Eiche gehen und die Nadel in die Eiche einbohren oder den Nagel darin einschlagen. Hat man das gethan, so verlieren sich die Zahnschmerzen.
  43. Wenn eine Frau an Zahnschmerzen leidet, so muss sie, um sich davon zu befreien, eine ungerade Zahl von Erbsen in den Mund nehmen, damit auf den Kirchhof gehen und dort in den Grabhügel, unter welchem ein Mann ruht, ein Loch machen. In das Loch muss sie die Erbsen hineinspeien. Darauf muss sie schweigend rückwärts vom Kirchhof gehen. Hat ein Mann Zahnschmerzen, so muss er die Erbsen in ein Loch speien, welches er in den Grabhügel gemacht hat, unter welchem eine Frau ruht.
  44. Wenn man Zahnschmerzen hat, so muss man auf den Kirchhof gehen und dort in den Grabhügel des zuletzt Gestorbenen ein Loch machen. In das Loch muss man eine Hand voll Getreidekörner werfen und dabei zu dem Todten sprechen: „Gieb mir Deinen Zahn, so gebe ich Dir den meinen“ Alsdann muss man schweigend nach Hause gehen. Auf dem Heimwege darf man sich nicht umsehen, nicht grüssen und keinen Gruss erwiedern. Hat man dias gethan, so verlieren sich die Zahnschmerzen.
  45. Wenn man das Brod ist, welches die Mäuse angefressen haben, so behält man stets gute Zähne.
  46. Hat man ein Gerstenkorn und man will dasselbe los sein, so muss man täglich durch ein Sieb sehen.
  47. Wenn man ein Gerstenkorn hat und man will dasselbe los sein, so muss man neun Tage hintereinander durch das Astloch einer Zaunlatte sehen.
  48. Wenn man schlimme Augen heilen will, so muss man sich dreimal mit einem soeben gelegten, noch warmen Ei darüber streichen.
  49. Wenn man Etwas im Auge hat, so muss man sich das Auge, um keinen Schaden zu leiden, auslecken lassen.
  50. Wenn man an schlimmen Augen leidet, so muss man dieselben mit Wasser aus einem Quell, welcher nach Osten fliesst, waschen.
  51. Wenn man Etwas im Auge hat, so muss man das Auge schliessen und einen Krebsstein darauf legen. Hat man das gethan, so geht das, was im Auge war, von selbst heraus.
  52. Wenn man ein Bielmannsauge hat und will dasselbe los sein, so muss man durch ein Astloch sehen.
  53. Wenn man ein Bielmannsauge hat und man will dasselbe los werden, so muss man das Auge schliessen und die Hälfte eines Eies darauf legen.
  54. Wenn man von einem Baum, in welchen der Blitz eingeschlagen hat, einen Splitter bei sich trägt, so ist man von Krämpfen und Zahnschmerzen frei.
  55. Wenn Jemand an Krämpfen leidet, so muss eine Frau ihr linkes Schürzenband anbrennen und ihm dasselbe dann unter die Nase halten.
  56. Wenn man an Krämpfen leidet, so muss man dagegen eine Mischung von Petricktalg, Schwarzenpulver und Schwalbenwasser einnehmen.
  57. Wenn man an Krämpfen leidet, so muss man ein weißes Tuch um den Hals binden, dasselbe acht Wochen tragen, ohne es abzubinden, und es in ein fliessendes Wasser werfen. Wenn das Tuch vergangen ist, so sind auch die Krämpfe fort.
  58. Wenn man die erste Kornblüthe, welche man sieht, isst, so bekommt man in dem Jahre das Fieber nicht.
  59. Wenn man die Kornblüthe von drei Aehren isst, so wird man in dem Jahre nicht vom Fieber befallen.
  60. Wenn man Kaffee trinkt und es wird Einem zugegossen, bevor man die Tasse geleert hat, so bekommt man das Fieber.
  61. Wenn man das Fieber oder die Auszehrung hat, so muss man Schwarzwurzel nehmen, zerreiben, in Kornbranntwein schütten und dann die Mischung trinken. Hat man das gethan, so wird man alsbald gesund.
  62. Wenn Jemand das Fieber hat, so muss man Mohrrüben kochen und ihm von dem davon erlangten Getränk eingeben.
  63. Wer das Fieber hat, muss einen Rostkäfer (Scarabaeus stercor.) in ein linnenes Läppchen binden und den Käfer so um den Hals gebunden tragen. Sobald das Thier vor Hunger gestorben ist, ist auch das Fieber verschwunden.
  64. Wenn man das Fieber hat, so muss man sieben Fliederblätter essen. Während man die Fliederblätter isst, muss man sieben Kreuze machen. Thut man das, so vergeht das Fieber.
  65. Wenn man ein Brustleiden hat, so muss man dagegen Poponz, Popowenz, also Gundermann, anwenden.
  66. Wenn man sieht, dass Jemand an der Gelbsucht leidet und man will ihn davon befreien, so muss man unvermerkt an ihn herantreten und ihm dreimal in das Gesicht spucken.
  67. Wenn man die Gelbsucht hat, so muss man einen Aal oder eine Schleie auf dem blossen Leibe tragen, bis der Fisch verfault und stückweise abfällt. Sobald das letzte Stück des Fisches abgefallen ist, ist auch die Gelbsucht verschwunden.
  68. Wenn man an der Gelbsucht leidet, so muss man von einem Brod ein Stück abschneiden und von demselben drei Bissen essen, den Rest des Brodstückes muss man auf einen Kreuzweg tragen. Holen die Vögel das Brod von dort weg, so verliert sich die Krankheit.
  69. Wenn man Reissen oder Gicht hat, so muss man die schmerzende Stelle mit einem Katzenfell einwickeln.
  70. Wenn man in einem Gliede das Reissen hat, so muss man auf die schmerzende Stelle das Fell eines Wiesels legen.
  71. Wenn Jemand mit einem alten, abgenutzten Besen geschlagen wird, so vertrocknet er bei lebendigem Leibe.
  72. Wenn man von einem Grabe eine Düte voll Sand nimmt und legt sie einem Schlafenden in das Bett, so bekommt dieser die Auszehrung.
  73. Wenn man ein Katzenhaar verschluckt hat, so stellt sich die Auszehrung ein.

Quelle: Edmund Veckenstedt: Wendische Sagen, Märchen und abergläubische Gebräuche. Leuschner & Lubensky, Graz 1880