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Sagenkreis des Schneekopfs und des Thüringischen Hennebergs
Einleitung
Vor allen deinen Brüdern
Auf Thüringens Gebirg erhebst du siegreich dich
Mit deinem kahlen Haupt; ich steige aus den niedern
Gefilden zu dir auf, und ha! ich fühle mich
Von deiner Aussicht Reiz, gleich einem Wirbelwinde,
Im Geiste tief bewegt,
Wo keine Blume blüht, in deines Schooßes Nacht
Prunkst du, o Schneekopf, noch mit wundersamen Dingen,
Die keine Zeit verheert, hur sie noch schöner macht.
In deines Tiegels Grund und dessen Felsenseiten
Wölbt sich in Kugelform der rothe Porphyrstein.
Georg Daniel Kommer. 1816
Der Schneekopf ist der Brocken des Thüringerwaldgebirges im Bezug auf Mähr und Sage; seine Schluchten und Thäler wetteifern darin mit dem Gipfel, um den der romantische Reiz des Unheimlichen wie geheimnißvoll umhüllendes Gewölk lagert.
Zwar tanzten auf ihm nicht die Hexen der Walpurgisnacht, und Herr Urian hat auf ihm keine Kanzel, dafür aber wächst das berüchtigte Hexenkraut in Fülle droben, das nach des Volkes Glauben den Wanderer irre führt, und es hat sich ein des Berges Unkundiger wohl vorzusehen, daß er nicht in die verrufenen Teufelskreise und in das Teufelsbad gelockt werde, denn der genannte Herr hat sein Wesen hier so gut, wie dort, und hält die gern fest, die sich in seine Domainen verirren. Auch vom Schneekopf, der an Höhe den Inselberg übertrifft, dafür aber von seinem Nachbar, dem Beerberg, noch um etwas übertroffen wird, bietet sich eine reizende Aussicht auf den schönsten Theil des Thüringer Landes dar; hohe Berge und schauerliche Gründe zeigen sich näher oder ferner von dem einsamen Gipfel; Geba und Dolmar, die Gleichberge bei Römhild mit ihren Basaltkränzen, die Vesten Heldburg und Coburg, Petersberg und Cyriacsburg, die Ruinen der drei Gleichen, der Ehrenburg, des Straufhain, die prangenden Schlösser von Gotha und Rudolstadt, die Sternwarte Seebergen und so manche Orte sind sichtbar, nur nach Westen hin hemmt die gigantische grüne Wand des Beerbergs den Blick. Am Schneekopf und in seiner nähern und fernern Umgebung findet sich derselbe Sagentypus, wie es beim Inselberg und dessen Umkreis der Fall ist; das ist wohl erklärlich, denn es ist dieselbe Natur wie dort, die in gleichen Räthfellauten sich dem Volk in früher Zeit schon offenbarte. Es ist Fels und Geklüft, Wald und Bach und Wiese, an denen die Erscheinungen haften, welche die Poesie des Volkes verklärt, ausschmückt und fortpflanzt; hier klingt nur Weniges geschichtlich herein, und wo ja, wie in einigen Hennebergischen Städten, da ist es Chronikenmähr, schon mit dem Wunderbaren und Sagenhaften verschmolzen. Wie überall auf Waldgebirgen, ist zunächst um die Gipfel das Vorwalten der Bergmanns-, der Jäger- und der Hirtensage bemerkbar, die Venetianer und Krystallgänger spielen eine Rolle; etwas tiefer liegen die Ruinenschlösser mit Schäßen, die Felsen und Höhlen mit verwünschten Jungfrauen, wo Schatzgräber und Jesuiten ihr Wesen treiben, bis ganz tief, in den Thälern und Dörfern Klostersage und Allerweltsspuk sich aufdrängt und wunderbarlich mischt und sondert, wie es eben kommt. Der Kreis, der für diese Abtheilung gezogen ist, ist weit und reichhaltig; es ließ sich nicht anders thun, selbst auf die Gefahr hin, Manches übergehen zu müssen.
Im Thüringischen Henneberg rundet sich ein durch Sprache, Volksthümlichkeit und sonstige geistige Verwandtschaft der Bewohner zusammengehörendes Gebiet´ab, darin politische Verhältnisse die nationalen Eigenthümlichkeiten nicht ganz zu verwischen vermochten; das alte Landeszeichen z. B., die schwarze Henne auf dem grünen Berge, ist von den Grenzpfählen und Zollstätten weggeflogen und hat sich behaglich in den Schilden der Wirthshäuser niedergelassen, wo sie sich unter dem Schutz des Adlers, wie des Rautenkranzes, gleich wohl befindet. Wir stellen uns auch hier, wie beim Inselberg, auf unserer Sagenwanderung gleich auf den Gipfel, suchen nach den Krystallkugeln und Violensteinen der Sage, streifen von da bis an das zuleht berührte Sagengebiet, durchwandeln die Ilmenauer Gegend, wenden uns dann nach Westen gen Suhl hin, durchwallen die Thäler der Hasel und Schwarze, grüßen das Thal der Werra, verfolgen dieses ein Stück aufwärts, und nähern uns dann der Schleuse, entgegenziehend wieder dem nahern Gebirge. Da begegnet uns denn Manches, davon wir schon Aehnliches als Bekanntes und Verwandtes grüßten, und Anderes, das überraschend neu und selbstständig seine Stelle in dem großen Bereich der vaterländischen Sagen behauptet.
Quellen:
- Ludwig Bechstein - Der Sagenschatz und die Sagenkreise des Thüringerlandes, Meiningen und Hildburghausen, 1857, Verlag der Kesselringschen Hofbuchhandlung