<<< zurück | Der Sagenschatz und die Sagenkreise des Thüringerlandes | weiter >>>
Nebst einer Abhandlung über den ethischen Werth der deutschen Volkssagen
Es ist aber sicher jedem Volke zu gönnen, und als eine edle Eigenschaft anzurechnen, wenn der Tag seiner Geschichte eine Morgen- und Abenddämmerung der Sage hat; oder wenn die, menschlicher Augenschwäche doch nie ganz ersehbare Gewißheit der vergangenen Dinge, statt der schroffen, farblosen und sich oft verwischenden Mühe der Wissenschaft, sie zu erreichen, in den einfachen und klaren Bildern der Sage, wer sagt es aus, durch welches Wunder? gebrochen, wieder scheinen kann. Alles, was dazwischen liegt, den unschuldigen Begriff der dem Volke gemüthlichen Sage verschmäht, zu der strengen und trockenen Erforschung der Wahrheit aber doch keinen rechten Muth faßt, das ist der Welt jederzeit am unnüßesten gewesen . Brüder Grimm: Deutsche Sagen
Nicht minder, wie durch Thüringens Frühzeit, schallte Schwertklang und Waffenlärm durch seine mittelalterliche Vorzeit. Ein Krieg kettete sich an den andern, der blutigen landverwüstenden Einzelfehden benachbarter Grafen und Ritter, der Empörungen der Bürger gegen ihre Obrigkeit in verschiedenen Städten, und der Kämpfe dieser Bürger gegen umwohnende Raubgesellen hier gar nicht, zu gedenken. Was von den letztern in diesem Werke romantischer Färbung halber Anführung verdient, wird seine örtliche Stelle finden, während hier in der Kürze nur das Allgemeine berührt wird, daran das ganze Thüringer Land oder doch ein großer Theil desselben zu tragen hatte. Leider ist mehr vom Weh, als vom Wohl des Landes zu verkünden, das bald der Krieg verheerte, bald frommer Wahn entvölkerte, bald der Todesengel geiselte, bald Elementenwuth verwüstete. Von solchen Ereignissen lebt noch vieles in der Sage des Volkes fort, so die Wichtlein aus der Hunnenzeit, in denen sich der uralte Glaube an Zwerge und Elbe verjüngte, so der Glaube an jüdische Brunnenvergifter und Kindermörder. Aller Judenhaß datirt aus dem Mittelalter und ist der schwache Wiederschein der ungezügelten Mord- und Verfolgungssucht, die von Zeit zu Zeit Volk und Land überloderte. Nicht um des Heilands Willen, sondern um des Geldes Willen, das der Meisten irdischer Heiland war, wurden die Juden verbrannt und erschlagen.
Veits- und Johannestänzer und Geisselfahrer durchschwärmten auch Thüringen. Von erstern geben Arnstädter und Erfurter Chroniken ein ganz merkwürdiges Beispiel,1) letztere traten ebenfalls um Erfurt zahlreich unter dem Gesang des bekannten Geißlerliedes auf. Aus der Zeit jener verheerenden Pesten stammt das wimmernde Gespenst die Wehklage, das nach des Volkes Meinung in manchem Ort vor Einzelsterbefällen, noch mehr aber vor dem Ausbruch großer Krankheiten mit einem unaussprechlich jammervollen Ton in den Straßen vorahnend und unheilkundend sich vernehmen läßt, und während Noth und Tod auf Erden oft verschwistert wandelten, schien der Himmel in schreckenvollen und wundersamen Meteoren wie ein Orakel den Zorn des Ewigen über die verderbte Welt und die sündige Menschheit zu verkünden. Nur in den einfachsten Umrissen sei dieß zum Theil im Folgenden angedeutet und gezeichnet, denn die Ausführung gehört der Geschichte an; auch bedingt die sich häufende Stofffülle örtlicher Sagen Raumersparniß. Ueberall, wo das Allgemeine mehr zum Besondern hinneigt und hindeutet, ist das Letztere bevorzugt worden, und was hier vermißt wird, wird dort gefunden.