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Sagenkreis des Inselberges - Einleitung
Wer ist in Teutschland doch so fremd und unbereiset,
Der Thüringen nicht weiß und seinen großen Wald,
Die Berge, die er zählt, hat keiner leicht gezahlt,
Von denen sich jedoch den Allerhöchsten weiset
Der hohe Heunfelberg: Wie herrlich kann er prangen,
Auf so viel Meilen hin, sieht alles niedrig sein,
Was sonsten in den Grund hat einen hohen Schein,
Kann mit der schönen Spitz bis in die Wolken langen.
Veit Ludwig von Seckendorf 1649
Der Inselberg ist nicht des Thüringer Waldes höchster Berg, aber sein schönster; an herrlicher Aussicht übertrifft ihn keiner, und darin steht ihm sogar der berühmte und berüchtigte Bergriese des Harzwaldes, der Brocken, nach, von dem man zwar weiter, aber nicht ein so mannichfach reizendes Gefilde übersieht. Man erblickt vom Inselberg den schönsten Theil des Thüringer Landes, das ganze romantische Sagengebiet, das wir in diesen Blättern theils berührten, theils noch berühren werden.
Die stattliche Wartburg ruht im Kranz ihrer Wälder, der Hörseelberg hebt einsam seinen unfruchtbaren scharfkantigen Rücken empor; Schloß Friedenstein glänzt wie ein Diamant in der Landeskrone; Erfurt prangt mit seinen Citadellen und Domthürmen, den Zeugen alter Zeit und Herrlichkeit ; die drei Gleichen sizen wie verzauberte Schwestern auf ihren Burgbergen; verlassene Wittwen, deren Gatten nach dem heiligen Grabe der Vergangenheit zogen und nie wieder heim kehrten.
Nahe herüber blickt von der Höhe bei Altenberga die steinerne Wienfriedsleuchte, und aus blauer Ferne grüßt der Harz mit seinem Kyffhäuser, dessen Bergschooß mit Wundersagen und Sagenwundern angefüllt ist, seiner Sachsenburg und dem mährchenvollen Gebiet der güldnen Aue. Auf die hochragenden Gipfel des thüringischen Henneberg, den Schneekopf und Beerberg fällt der Blick und streift über die Basaltkuppen des Dollmar und der Geba und über die Disburg nach der blauen Rhén, nach dem alten Buchonien, um von da über die Berge des nachbarlichen Hessenlandes wieder zu den westlichen Endpunkten des Thüringer Waldes, den Krainberg und der Wartburg zurückzukehren. Wie Kinder, die sich traulich in den Faltenmantel einer Mutter bergen, liegen freundliche Städte und Dörfer dicht am Fuß des Inselbergs: Waltershausen mit seinem stattlichen Schloß Tenneberg, Friedrichrode mit der Schauenburg, und Reinhardsbrunn, so versteckt, daß sein friedliches Thal nicht einmal sichtbar ist. Broterode, Ruhla und Winterstein, Kabarz und Labarz ruhen in diesen Bezirken, und hochthronend wie ein Aar mit ausgebreiteten Flügeln, horstend auf dem Kamm des Gebirgs, hebt der Berg seine Porphyrkrone, streckt er seinen granitnen Leib.
In den Thalklausen, die sich nach allen Richtungen vom Inselberg hinabziehen, hat sich vornehmlich die Sage des Volkes angesiedelt und sich selbst hineingebannt, wie in einen magischen Kreis; ihr Träger, der Aberglaube, flüchtete sich in die Bergschluchten, Thaltlüfte und Waldeshöhlen, und scheint seine stillen, von der Furcht gemiedenen, von der Sehnsucht nach dem Abenteuerlichen gesuchten Size noch nicht so bald verlassen zu wollen.
Hier sind die Herde der Sagen anders aufgebaut , wie die in den Kreisen von Wartburg und Reinhardsbrunn; dort erklang Heldenschritt und Chronikenstil, Klosterglocken- und Legendenton, und nur einzelne bunte Mährchenfäden webte die örtliche Sage in den romantischen Geschichtenteppich. Hier aber ist der Fall umgekehrt, hier breitet die Volkssage ein buntes Gewebe aus, und die Geschichte sticht nur einige ihrer Blumen darauf.
Um den gewaltigen Berg und seine Nachbarhöhen wimmelt es von Schätzen, die meisten ruhen noch und harren der Erlösung, andere machten glückliche Finder reich. Fremde räthselhafte Männer durchziehen, der Sage nach, das Land, sie kennen die Stellen, sie haben die Mittel, das Gold zu finden, sie tragen den Reichthum von dannen. Hülfreiche Geister dienen dem Fleißigen, aber die leicht Erzürnbaren rächen auch grausam jede Beleidigung. In allen Chalengen, auf allen öden Hochebenen, an Wegkreuzen und Grenzsteinen wandert und spukt es, nirgends ist es recht geheuer.
Hirten, Bergleute, alte Kreiser und Köhler haben viel erblickt, wissen viel zu sagen, Auch Wundermänner und Propheten brachte die Gegend hervor, und diese leben noch im Glauben des Volks als halbmythische Personen fort, an die sich seltsame Geschichten von erfüllten Visionen und Weissagungen und erstaunlichen Wunderkuren knüpfen. Traditionen von Heren gibt es in diesen und den Nachbargebieten vollauf, und an heimliche Stellen, in Schlucht und Weiher, ist mancher Geist getragen und gebannt worden. Der dreißigjährige Krieg leiht mehr als einer Geistersage seine blutige Farbe, und lebt wie ein Gespenst der Vorzeit in trüber Erscheinung fort. Alter Brauch und alte Sitte blieben am längsten in diesen Thälern, vornehmlich in der Ruhl, doch allmählich schwinden sie mehr und mehr und weichen der wachsenden Aufklärung und Verfeinerung; dadurch schwinden auch die ganz eigenthümlichen Nationaltrachten, mit diesen die Volksfeste, Spiele und Gebräuche; die Sprache wird vornehmer, und alle die Ecken und Zacken, an denen die besondre Nationaleigenthümlichkeit dieser Thal- und Bergbewohner haftete, werden abgeschliffen und polirt, wie Messerklingen und Pfeifenköpfe. Die Neuzeit will nun einmal Glätte und Glanz. Hier wiederholen sich Sagen, die sich theils am Kyffhäuser, theils auch, fern von Thüringen, am Untersberg bei Salzburg wiederfinden.
Musikanten spielen auf vor der verzauberten Felsenwohnung der Prinzessin, und werden mit grünen Zweigen belohnt, die sie verächtlich wegwerfen bis auf einen; Karl der Fünfte sitt verzaubert im Untersberg, und von ihm haben die zu Broterode, das dicht am Unterberge (so heißt, wie ich auf einer genauen Forstkarte finde, die Abdachung des Inselberges nach Broterode zu) liegt, eine Fahne, Gehölz und alte Freiheiten. Alles, was vom Goldsand in Berghöhlen, vom nicht wieder finden können des Eingangs zu ihnen, wenn die Glücksstunde vorüber, Untersberger- und Kyffhäusersagen wissen, haben wir an unserm Inselberg und am Markt- oder Wartberg bei der Ruhl, vieles aber ist wiederum hier, wie dort, ganz anders und verschiedenartig.
Doch heben wir nun an mit dem Haupt, und steigen dann von ihm hinab in die Thäler, nach jeder Richtung, und umkreisen bald näher, bald ferner den Inselberg, jenen fabelhaften Venetianern gleich, die hier Gold suchten und fanden, das Wundergold der Sage zu Tage zu bringen.
Quelle: Ludwig Bechstein - Der Sagenschatz und die Sagenkreise des Thüringerlandes, Meiningen und Hildburghausen, 1857, Verlag der Kesselringschen Hofbuchhandlung