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Sagen aus Thüringens Frühzeit - Einleitung

Während die geschichte durch thaten der menschen hervorgebracht wird, schwebt über ihnen die sage als ein schein, der dazwischen glänzt, als ein duft, der sich an sie setzt. Niemals wiederholt sich die geschichte, sondern ist überall neu und frisch, unaufhörlich wiedergeboren wird die sage. Festes schrittes am irdischen boden wandelt die geschichte, die geflügelte sage erhebt sich und senkt sich: ihr weilendes niederlassen ist eine gunst, die sie nicht allen völkern gewährt. Wo ferne ereignisse verloren gegangen wären im dunkel der zeit, da bindet sich die sage mit ihnen und weiss einen theil davon zu hegen; wo der mythus geschwächt ist und zerrinnen will, da wird ihm die geschichte zur stütze. J. GRIMM Deutsche Mythologie (III)

Bevor wir in den nächstfolgenden Sagenkreis eintreten, und der leuchtenden Fackel nachziehn, die der Apostel aus Albion durch die Thüringischen Gaue trug, werfen wir einen Blick auf die Nacht des Heidenthums und auf die Morgennebel jener Frühe, aus der alle Geschichte wie Sage klingt, die wenig oder nicht an Stadt und Dorf und Burg haftend, frei und in leichten Umrissen hingehaucht, eine Fata Morgana Thaten und Ereignisse abspiegelt. Von so frühen Kunden ist freilich nicht allzuviel noch im Volk lebendig; eben deshalb gedenken wir ihrer hier, und erwecken die Schlummernden. Unsre Aufgabe in diesem Gebiet ist ja nicht, strenge Geschichte zu schreiben, daher wir uns auch nicht berufen fühlen, mit kritischem Richterblick zu sondern und prüfend zu sichten, vielmehr gönnen wir auch dem Irrthum seine Stelle; hat man doch Beweise, daß bisweilen zur Wahrheit wurde, was langgeglaubter Irrthum schien. Wo die Sage und Ueberlieferung aller romantischen Umhüllung baar, zur nackten geschichtlichen Wahrheit wird, sind wir stets an den Grenzen unsers Gebietes. Wir müssen uns, um in den Morgenstrahlen der altestev Vorzeit zu baden, und das Thüringer Land zu überschauen, zur Wolkenhöhe emportragen lassen; denn der Inselsberg ist zu niedrig, als daß wir von seinem Gipfel das herrliche Reich überblicken könnten, das noch vom wogenden Nebelschleier verhüllt, im tiefen Schweigen ruht; es ist das Königreich Thüringen.

Kein König der Neuzeit würde sich dieses Reichs zu schämen haben, wär' es noch wie einst, und von ihm beherrscht. Daß manche Historiker geradezu verneinen, daß ein solches Königreich je bestanden, gibt ihm um so mehr eine mythische Färbung, und diese Schriftsteller leiten zu demselben Ziel, zu dem die uns führen, die nach dem Trojanischen Krieg ein Heer Asiaten, und unter ihnen die Thüringer in Cimbrien landen und in Deutschland Wohnsitze suchen lassen; die ihnen Senno, den Sohn Andenors, zu Sauls Zeiten zum König geben, oder nicht minder Trebeta, den Sohn des Königs Ninus, Litus, Hammer, Hoyer u. a.

Eben so unbestimmt und schwankend, Nebelmassen gleich, die windbewegt die Thalgründe überschleiern, sind die Grenzen dieses uralten Königreichs. Diese dehnten sich gen Norden bis an und über den Harz, umfaßten östlich das ganze Saalgebiet bis zur Elbe, das sogenannte Osterland bis zur Elster, das Flußgebiet der Mulde, das Vogtland, und im Süden den ganzen Thüringer Wald, das Grabfeld, das Gebiet der fränkischen Saale bis zum Main, die Länder an der Werra, die eine Strecke westwärts fließt, wo, im Westen, das heutige Hessen angrenzt, das ganz zu Thüringen gehörte, wozu auch noch manche Geographen die Wetterau und den Westerwald rechneten.

Noch unbekannter, wie das vorzeitliche Königthum und die uralte Grenzbestimmung des Thüringer Landes, ist und bleibt für uns seine Göttersage und sein Kult. Beides ist ein schweigender geheimnißvoller Eichenhain, der in undurchdringlichem Dunkel seine Priester, seine Opfer und seine Orakel birgt. Die alten Chronisten erzählen uns tausend Fabeln, sie möchten bald römische, bald scandinavische Mythe in diesen Kreis hereinziehen, und am liebsten beide verschmelzen. Ihnen zufolge war Wodan, der Sachsengott, der Odin der Scandinavier, auch die Hauptgottheit der alten Thüringer. Wo Odin herrschte, durfte Frigga nicht fehlen, und bald bevölkert sich nun ein ganzer Himmel mit Göttern. Donnernd zieht Thor heran; thronend steht Krodo auf der Harzburg, der Jahreszeiten Gott mit dem mystischen Sonnenrade; vom Stuffenberg ertheilt Stuffo seine Drakel, und Biel und Lara, Jecha und Ostara, Püsterich und Frau Hulda behaupten ihre Ehrenstellen neben Merkur und Jupiter, Saturn und Diana, Fortuna, Isis u. a.

Aus diesem Chaos tauchen aber einzelne Gestalten auf, die dauernde Form gewinnen, in dem Zeitenmeer dahinschwimmen, und uns noch heute in der Sage des Volks, in Rede, Scherz- und Reimspruch, in magischer Formel sogar, wieder begegnen, oft auch uns ihre Namen von den Gipfeln zurufen, an denen sie landeten. Manches davon wird in spätern örtlichen Sagen selbst vorkommen, einiges werde hier angeführt.

Frau Holle oder Hulda lebt noch im Volksglauben scherzhaft und ernsthaft fort. Sie ist die gütige weiße Frau der winterlichen Zeit. In den Zwölften jagt sie, und wenn es schneit, sagen die Kinder in Thüringen: Frau Holle schüttelt ihr Federbett aus. Gegen das Alpdrücken haben die Mädchen im Werrathal folgende Bannformel:

Das Walhallal (Walhalla?)
Alle Berge durchschwat,
Alle Bächle durchbad't,
Alle Blättle abblatt't,
Unterdessen wirds Tag.

was wohl heißen soll: Die Geisterversammlung, (welche das Alpdrücken bewirkt) solle durch alle Berge schweben, durch alle Bächlein baden, alle Blättlein abblatten, über dieser anderweiten Beschäftigung wird es Tag, und bleibt keine Zeit, beängstigende Träume zu verursachen.

Vom Thor, so meinten manche, sey der Name Thüringen entstanden, und in dem heiligen Hain bei dem in alten Urkunden Thornburg geschriebenen Städtchen Dornburg an der Saale soll er hauptsächliche Verehrung genossen haben. Dorndorf bei Arnstadt mit auf einem Berge gelegener Kirche u. a. Thurstig, Duhrstig spricht noch heute ein Theil der Bevökerung im thüringischen Henneberg den Donnerstag, den Thorstag aus. In der Ruhl Dornstig. Man finne ferner den Namen der Dörfer Asbach und Leutleben bei Gotha nach, Asbach auch bei Schmalkalden.

Ob die vielen in Thüringen sich findenden Osterberge den Namen von der Göttin Ostara, (Astarte ?) oder darauf in der Frühzeit gezündeten Österfeuern tragen, wer weiß es? Von der zweifelhaften Jecha ist nur der Namensklang des nach ihr genannt sein sollenden Schlosses und Dorfes noch übrig; für den Biel zeugen vielleicht noch die Bielsteine bei Meiningen und an der Geba, auch auf dem Wald zwischen Schmalkalden und Tambach, Bielstein und Bielshöhle am Harz, Bila bei Nordhausen, wie der Ortsname Belrieth im Thal der Werra.

Wer Sprachlaute hören will und Gebräuche kennen lernen, die beide lebhaft an eine längstvergangene Zeit, an altdeutsche Sitte und Sprache erinnern, der gehe in den Thüringer Wald und steige in die Thäler nieder, in denen die Orte Ruhla, Steinbach und Broterode liegen, und achte ein wenig, ohne sich das just merken zu lassen, auf das Volk. Die Sprache dieser Ortschaften klingt ganz eigenthümlich wie aus einer fernen Zeit, wie aus einem fremden Lande.

In den Kreis der nachfolgenden Sagen treten Gestalten, die dem nicht fremd sind, der deutsche Geschichte kennt; ihr Tritt und Schritt klingt ehern, wie der Rythmus des Niebelungenliedes, und Haß und Liebe, Eifersucht und Rache, Verrath und Mord kämpfen und ringen mit einander unter purpurnen Königsmänteln, die deßhalb rothe Farbe tragen, damit man das Blut nicht sehe, mit dem sie so oft befleckt werden. Dazwischen blitzt und leuchtet hochherrlich manches makellose Heldenbild, in stolzer Pracht prangt mancher Königsbau, bis dieser Baum der Größe vom Vernichtungsblitz der Zeit gespalten und zersplittert stürzt, und aller Glanz erlöscht.

Quelle: Ludwig Bechstein - Der Sagenschatz und die Sagenkreise des Thüringerlandes, Meiningen und Hildburghausen, 1857, Verlag der Kesselringschen Hofbuchhandlung