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Vorrede
Da wir tranken unsern Trank,
Da wir sungen unsern Gesang,
Und uns kleidten mit unserm Gewand,
Da stund es wohl in unserm Land.
So klagte das Sprichwort schon zur Zeit des alten Winckelmann und wir fühlen täglich mehr, dasz es ein Wahrwort ist. Singen und Sagen aber ist von jeher lebendig und unauflöslich verbunden, und wo es nicht mehr mundet, da schmeckt auch der alte Trank nicht mehr, da stirbt das ganze alte Gewand des Volkslebens ab. Was unsere Alten mit Recht unser nannten, das ist uns fremd geworden, das Fremde aber nennen wir unser und nicht zu unserm Heil, denn frommen kann uns nicht das unserm tiefsten Wesen Uneigene, das Aufgepfropfte, sondern nur das aus den Wurzeln unseres Seins organisch Hervorgewachsene. Das wird uns Gottlob mehr und mehr klar, darum sehen wir wachsendes Wegwerfen des flitternden Modernen, Rückkehr zum Studium des solidern Alten, neue Freude an dessen edler Kraft und tiefem innerm Gehalt. Die begabtesten Köpfe, die feurigsten Herzen der Nation treten, ferne der kalten Vernünftelei, wieder fest zu dem warmen Glauben, in welchem sie für sich wie für das Volk das einzige, wahrhaftige Heil erblicken; die heilige Kunst feiert neue Triumphe und von dem ewigen Dome Cölns aus fliegen fruchtbare Samenkörner in alles deutsche Land; die Poesie erinnerte sich, dasz sie eine Tochter des Glaubens ist und unsern Geibel, Redwitz, Droste, Alb. Knapp und Sturm steht keiner voran; in allen Zweigen der Wissenschaft offenbart sich ein neuer und gewaltiger Umschwung, sie betrat selbst bis dahin niebetretenes Gebiet, sie trieb einen neuen Zweig den wir bereits als kräftigen Ast sehen: sie drang in die Tiefen unseres Alterthums, trug Licht in die dunkeln Tage der heidnischen deutschen Vorzeit. Das war eine der gröszten Thaten der Neuzeit, deren weitgreifende Folgen zu würdigen unsern Enkeln vorbehalten bleibt. Ihre Urheber haben sich durch sie ein Denkmal aere perennius gesetzt und dankbar werden späte Zeiten den Namen der Brüder Grimm nennen.
Hundertmal ist es ausgesprochen und es kann nicht genug wiederholt werden, (denn das Lächeln der Halbgebildeten über das Gut des Volkes wird nicht so bald weichen) dasz diese That nur dadurch möglich wurde, dasz eben dies Gut, dasz unser Singen und Sagen wieder zu Ehren kam. Ohne die Wiedererfindung unserer Märchen, Sagen, Bräuche, Lieder u. s. w. wäre sie unmöglich gewesen. Es ist leicht, zu verachten, was man nicht kennt, ebenso wohlfeil das gering zu schätzen, was man zwar kennt, aber nicht versteht: so ging es durchschnittlich allen vor den Grimm. Als sie aber, unser Auge dem Alterthum öffneten, als sie sammelnd vorangingen, was bis dahin verschmäht worden, da war die Bahn bald gebrochen. Nicht manches Buch hatte sich einer Aufnahme zu erfreuen, wie die Kinder- und Hausmärchen und heutzutage würde man sich fast schämen, zu sagen, man habe sie oder die deutschen Sagen nicht gelesen. Diese beiden Bücher riefen einen neuen Zweig der Literatur ins Leben und gegenwärtig wird aller Orten und Enden gesammelt, was noch zu sammeln ist. Wir dürfen uns nun nicht verhehlen, dasz trotzdem das Publicum im Ganzen und Groszen noch nicht mit dem Eifer zugreift, mit welchem das Geschäft des Auflesens betrieben wird,1) aber das geht nicht so schnell; nur langsam wird es sich wieder an diese kindlich unschuldigen Klänge seiner Kindheit gewöhnen, langsam nur wird sein Auge, das bis dahin an hohle Theaterdecorationen gewohnt war, wieder Freude finden können an diesen einfachen, kunstlosen Bildern einer frischen Natur. Alles Gute trägt die Garantie seiner Zukunft in sich selbst und eine solche hat auch dies Gut. Wer kann es leugnen dasz die Grimmschen, wie die andern Sammlungen dieser Art bis jetzt schon von einem unberechenbaren Einflusz auf die Erziehung von Tausenden waren, welche ohne sie mit jenen modischen verschrobenen Fabrikaten eines ganzen Heeres sogenannter Jugendschriftsteller fürs Leben verschroben worden wären? Fragen wir die neuen Sammler von Volksüberlieferungen, wer ihnen die Liebe und Freude an diesen Dingen ins Herz gepflanzt, sie werden alle auf die Grimm hinweisen. Aber mit dieser Liebe und Freude ist noch eine andere verbunden, die an deutschem Wesen, die am Vaterländischen und das ist ein gröszerer Gewinn, als der wissenschaftliche, den wir aus diesen Traditionen ziehen.
Sie hoben die Erkenntnisz des Tiefen und Sinnigen, was in unserm Volke lebt, sie luden Arm und Reich und Jung und Alt und Grosz und Klein an eine und dieselbe Tafel, zu einer und derselben Kost, sie halfen den alten, fast erstorbenen Gemeinsinn wieder mehr wecken, sie waren ein Mittelpunkt, um den sich die Höchsten mit den Niedrigsten einten, und das werden sie mit jedem Tage mehr. Um sie, die Wundererfüllten, geschaart, lernte man das nüchterne Vernünfteln vergessen, wer ihren Geist in sich aufgenommen, den können die raffinirten Romane der neufranzösischen Schule und ihrer deutschen Nachbeter nicht mehr befriedigen, denn arm und widerlich müssen diese Ausgeburten einer befleckten Phantasie und verdorbener Herzen erscheinen, sobald und wo unser Märchen die reinen, bunten Schwingen seiner frischen duftigen Phantasie entfaltet, und im leichten Flug Sterne und Sonnen unter unsern Füszen erscheinen läszt, wenn die sinnige Sage ihre Aureolen um die Werke der Natur und der längst zum Staub zurückgekehrten Menschenhand spinnt, oder wenn der Schwank seinen kräftigen Tanz tritt und jubelnd die alte Festfreude des Volkes an unsern Augen vorüberzieht.
Haben sie solche Macht und diese wäre in vielen andern Beziehungen nachzuweisen leicht, wenn nicht die engen Grenzen der Vorrede mir Schranken zögen schon in ihrer natürlichen Gestalt auf jedes nicht ganz erkaltete Gemüth, dann wächst diese Macht noch an Bedeutung, sobald wir sie des Gewandes entkleiden, welches die Jahrhunderte schützend um sie gewoben haben und sie in ihrem alten Kern schauen. Da wird aus jedem dieser buntfarbigen Bilder ein ehrfurchtgebietendes ernstes Denkmal alter Germanenherrlichkeit, vor dem die Väter vor mehr als einem Jahrtausend gläubig ihre Kniee und die eisernen Nacken beugten; da blicken aus ihnen die verloren geglaubten Götter und Göttinnen mit der alten Kraft und dem alten Trotz und Zorn, wie mit der alten Liebe und Güte und Milde auf uns, wie auf jene nieder, da lernen wir uns stolz als ein Volk wieder fühlen und das ist eine Hauptsache als das Volk, dem, wie ich schon einmal aussprach, auch in den Finsternissen des Heidenthums Gott der Herr vor allen nahe war, das er zum mächtigsten und glorreichsten Träger der erlösenden Lehre erkor, das vor allen andern edel und rein und grosz dastand, so dasz mit Recht einer der besten Römer seinem von unsern Modernen so vergötterten Volk unsere Väter als ein Muster und Vorbild zur Nacheiferung vorhalten konnte.
Es ist darum wohl eine Pflicht für jeden, der da kann, an dem Aufbau des von beiden Grimm begonnenen Werkes rüstig mitzuwirken. Die Erkenntnisz dieser Pflicht macht sich Bahn und es ist eine herzerfreuende Wahrnehmung, dasz selbst zwei deutsche Könige es sich angelegen sein lieszen, in ihren Staaten den Arbeitern an dem Werk hülfreich und schützend unter die Arme zu greifen.2) Das letzte Jahr hat uns wieder eine ganze Reihe von Sammlungen der verschiedenen Traditionen gebracht und das heurige scheint nicht minder fruchtbar daran werden zu wollen. 3)
Auch dies Buch soll neue Bausteine bringen. Der Boden, aus dem sie gebrochen sind, hat sich durch die Grimm einen classischen Ruf erworben. Bei dem Namen Hessen denkt man ja sogleich an die brave Viehmännin, deren treue und verständige Augen uns wieder aus der sechsten Auflage der Kinder- und Hausmärchen anschauen, an die zahlreichen Märchen, die andere den beiden Brüdern erzählten, als dieselben noch von Cassel aus ihre Ausflüge machten, an hunderte von Stücken aus den deutschen Sagen. Aber Hessen ist grosz und mein Gebiet war vorzugsweise das Groszherzogthum und da ist der Boden leider nicht mehr so ergiebig, wie anderswo. Verschiedenes trägt die Schuld daran Vorerst das sechzehnte Jahrhundert, welches in den Kirchen und auf den Fluren so sehr tabula rasa machte, dasz in den ersten kaum noch ein Crucifix in einer Ecke zu finden ist, und auszerhalb derselben weder dies noch ein anderes Denkmal stehen blieb, denn einst hatten alle Denkmäler einen geweihten Character.
Dadurch waren der Sage eine Menge von Anhaltspunkten genommen, deren beraubt sie ihr Leben kaum mehr fristen konnte. Kaum war dieser Sturm für sie vorüber, da brauste der dreiszigjährige Krieg verheerend durch diese Gegenden und risz nieder, was die Neuerung geschont; er schwemmte aus einzelnen Strecken ganze Bevölkerungen weg, an deren Stelle neue Ansiedler aus der Ferne einzogen und so ging abermals eine Masse von Ueberlieferungen unrettbar verloren. Dann kamen am Rhein die französischen Nachbarn und legten Städte und Dörfer, Burgen und Klöster in Asche, und kaum hatte sich die Bevölkerung von den schweren Kriegsleiden erholt, da kehrten sie als Revolutionsmänner zurück. Nicht genug damit, der Rationalismus und die mit ihm Hand in Hand gehende Verwilderung und Verkommenheit fegte zuletzt allen Rest von Poesie aus den Herzen weg, oder diese wurden stumpf gegen sie; das alte, frische, fromme und fröhliche Volksleben war in seinen Wurzeln angegriffen und starb fast ganz aus. Es stimmt zu traurigen Betrachtungen, wenn man die Sammlungen von Denkmälern aus dem Volksleben liest, die Kuhn und Schwarz, Müllenhoff, Sommer, Panzer, Meier, Bader, Stöber, Schöppner,4) Redeker u.a. in den letzten Jahren herausgaben und die heitern, bunten Farben sieht sich das Volk in so vielen Gegenden des Vaterlandes noch bewegt, wenn man die herzliche Lust belauschen darf, mit welcher es dort noch am Ueberkommenen hängt, und nun hier alles so öde findet, kein Feuer mehr auf den Bergen, keins in den Straszen mehr lodern sieht, wenn man die Uralten klagen hört, wie Hochzeit und Kindtaufe vordem so schön gewesen, wie sich die Reigen im Freien gedreht, wie in der Spinnstube noch Sittsamkeit und Zucht geherrscht, wie so mancher verklärende Schein auch in des Allerärmsten Leben fiel. Alle diese schuldlosen, reinen Freuden sind dahin, die, seltsam aber bescheiden in sich geschmiegte, nach Laub, Wiesengras und frisch gefallenem Regen riechende Natur ist aus dem Volk gewichen und liesz nur in wenigen Strichen des Groszherzogthums Spuren zurück; sie machte dem rohen Materialismus Platz. Die alte Poesie ist Prosa, die alte Milde Härte, die reine Freude Brüten über Geld und Gelderwerb oder über Mittel und Wege, den nagenden Hunger zu stillen, die Ehrbarkeit Leichtfertigkeit, die Frömmigkeit Gleichgiltigkeit, der starke, feste und sichere Glaube dummes Absprechen geworden, und lange wird der neuerwachte Glaubenssinn zu thun haben, bis diese geistigen Leichenfelder eine Auferstehung sehen. Gilt dies nun auch für manche Theile Churhessens, so ist es doch im Ganzen und Groszen dort besser, wie uns die wenigen Sagen schon beweisen, die ich von dort in die Sammlung aufnahm, und wie uns hoffentlich die Sammlung churhessischer Sagen bald deutlicher zeigen wird, die Herr Carl Lyncker in Cassel eben herauszugeben im Begriffe steht.
Es versteht sich von selbst, dasz dies Buch auf Vollständigkeit nicht den entferntesten Anspruch macht und Niemand mehr als mich wird es freuen, wenn bald reiche Nachträge zu ihm erscheinen. Es wurde vor etwa fünf Jahren zugleich mit der Sammlung deutscher Hausmärchen angelegt und wie bei diesen, so hatte ich auch bei ihm Wilhelm von Ploennies als treuen und eifrigen Freund zur Seite, der besonders den Soldatenmund ausbeutete.5) Bald aber führte ich die Sammlung allein fort und da waren es vor allen die Herren Prof. Phil. Dieffenbach in Friedberg und Prof. Weigand in Gießen, welche mir auf die freundlichste Weise dabei an die Hand gingen. Ihnen, wie Herrn Pfr. Oeser in Lindheim und Erdmann in Gelnhaar, und Herrn Cand. Stock in Darmstadt, denen ich gleichfalls manchen Beitrag danke, und den Herren Geheimrath Dr. Feder und Dr. Walter, die mir die reiche Bibliothek in Darmstadt, so wie die Privatbibliothek Seiner königlichen Hoheit des Groszherzogs bereitwilligst zu benutzen anheim- gaben und mir dabei mit Rath und That hülfreich waren, spreche ich meinen besten Dank aus. Was ich aus dem Großherzogthum bringe, ist fast alles aus dem Volksmund. Gedrucktes nahm ich in der Regel nur dann auf, wenn es noch weniger bekannt war; alles durch die Grimmsche Sammlung oder durch poetische Bearbeitung in weitern Kreisen Verbreitete blieb streng ausgeschlossen; ich hätte sonst Bände gefüllt. Das aus dem Churfürstenthum hingegen Aufgenommene ist fast ganz aus Druckquellen, die jedoch den meisten Lesern schwerlich bekannt, oder doch wenig zugänglich sind, namentlich aus der Sammlung: Buchenblätter. Sagen, geschichtliche Vorkommenheiten, Entstehung von Ortsnamen und sonstiges Vaterländisches im ehemaligen Fürstenthum Fulda und dessen Umgebung, bearbeitet von Dr. J. Schwarz, Medicinalrathe in Fulda. 'II Hefte, Fulda 1849. 1850. Druck von L. J. Uth. kl. 8. 167 u. 172 S. Ich löste die Stücke in Prosa auf, wie es der Zweck erforderte. Mehr daraus zu bringen, wäre leicht gewesen, doch daran hinderten allerlei Bedenklich- keiten. Auszerdem lagen mir noch manche Sagen, auf die schon öffentlich aufmerksam gemacht wurde, aus dem Churfürstenthum vor, so die von der Sababurg u. v. a., doch mochte ich sie nicht in Brocken geben und überlasse es Herrn Lyncker, sie vollständiger zu liefern. Die Anordnung der Sammlung ist die bekannte mythologische. Die Ergebnisse gedenke ich anderswo zu ziehen, doch kann ich es mir nicht gut versagen, hier wenigstens einen andeutenden Ueberblick über dieselben zu geben, der zumal die von andern Sammlungen einigermaszen abweichende Ordnung der vorliegenden erklären mag. Die in Berge entrückten Ritter und Helden sind alte Götter, mit ihnen beginne ich und nehme zu den heiligen Bergen sogleich auch den heiligen Hain, (11) der nahe dem alten königlichen Bannforst Drieichahi liegt und dessen
Boden noch ein altes Wuotansbild bergen soll. Fällt es überhaupt schwer, jetzt noch Nachrichten genauerer Art von den alten Göttern beizubringen, dann ist dies in dem Groszherzogthum Hessen besonders der Fall, wie ich oben schon aussprach; bei einer Verwüstung wie hier darf dies nicht wundern. So sind denn die Resultate, welche wir aus den mitgetheilten Sagen ziehen können, auch nur spärlich und von nicht groszer Bedeutung. Länger aber und tiefer als die Götter, hafteten die freundlich und mild dem Menschen nahen Göttinnen in des Volkes Gedächtnisz und so konnte ich gleich an die Spitze der über sie gefundenen Sagen eine zwar kurze, aber sehr bedeutsame aus Churhessen stellen, (12) welche die Identität der Holda und Freya - Frouwa über alle Zweifel erhebt. Die auf der Wanderung unter den Menschen begriffene Göttin finden wir auch in 13 wieder, wo sie die Gestalt der heiligen Gottesmutter annimmt. Die kindliche Phantasie des Volkes, der Zeit und Raum nichts gelten, verlegt die Scene, wie ich jüngst hörte, in die Zeit der Flucht nach Aegypten; wir werden darin die Göttin wieder finden, die nach dem verlornen Gatten sich sehnend und ihn suchend goldne Thränen weint und gleich der Gemalin des Osiris alle Länder der Erde durchstreift; der, als sie müde vom irrenden Lauf ausruhen will, der harte Stein zum weichen Pfühl wird. 14-17 zeigen dieselbe Göttin in ihrem heiligen Berg, in ihrem unter altheiligem Baum springenden ihr geweihten Brunnen wohnend und von dort der Ehe Segen spendend.
Es folgen zunächst die Umzüge der Götter, vor allen des wilden Jägers und Heervaters Wuotan. Wie wenig ist davon zu melden, während Meier uns lich aus Schwaben Dutzende von Sagen darüber brachte! Doch tritt als bedeutsam 25 hervor, die uns sagt, daß die nordische Sage von der todtenerweckenden Hilde mit ihrem noch älteren Grunde, dem eddischen Mythus von den vom Tod erstehenden Einherien auch hier bekannt war, wie denn auch die Wirthschaft in der Küche (24) und das Mahl vor der Jagd (23) für das Treiben in Valhöll bezeichnend sind. Dem Reiter Wuotan schlieszt sich (27) der fahrende Donar an, oft vereinigt ein Wagen die beiden Götter (28) meist aber fährt der Donnerer allein und zwar zur altheiligen Zeit des Advents (33). Einmal finden wir auch Wuotan fahrend (34) und dem Gespann fehlt die göttliche Farbe nicht.
Zahlreicher sind schon die Sagen von den weißen Frauen, die hier wie allerorts der Erlösung vergebens harren. Die erste, von der Ausführlicheres berichtet wird, führt den Mann in einen Keller, wo nicht Schätze, sondern Weinfässer liegen. Sie zeigt uns den Uebergang von der Göttin Holda ', die als Schaffnerin im Kyffhäuser bei dem verzauberten Kaiser, dem alten Gott sitzt, zu den eigentlichen weiszen Frauen, die durch Kusz und Hebung des Schatzes erlöst werden. In 40-50 finden wir die weiße oder goldgelbe Blume und die Schlüssel vertreten, die folgenden bis 62 zeigen diese Frauen in mannichfachen andern Gestalten, in denen wir sie bis jetzt weniger kannten, zuletzt in der Zwei- und Dreizahl. Merkwürdig sind die Männer in 63 und 64, die ganz die Rolle weiszer Frauen spielen. Der weisze Mann in Herbstein wird auf einer Heiligensage beruhen, in welcher der alte Patron des Ortes sein Amt übt und die in Folge der Reformation unterging. In 66 haben wir den Uebergang zu den Riesen, deren letzter (74) vor den Zwergen flieht und dadurch zu diesen den Weg bahnt, so wie zu den ihnen verwandten Hausgeistern, Kobolden und wilden Frauen, (82-87) von denen ausführlichere Auskunft gegeben wird und die den Hessen, Franken und Schwaben, d. i. dem Südosten Deutschlands eigenthümlich zu sein scheinen, wenigstens bin ich ihnen anderswo unter diesem Namen noch nicht begegnet. Zu derselben Familie gehören auch die Nixe und Nixen und die Elben, die wir als Mahr wiederfinden und über welche manches neue (91-99) vorliegt. Ein großer Theil des elbischen Webens und Treibens ging in späterer christlicher Zeit auf die Hexen über, desshalb lasse ich zunächst die Sagen über sie folgen. Ich hätte sie ins Zahllose vermehren können, denn sie bilden fast ausschließlich den Gegenstand der Unterhaltung an manchen Orten; liegen sie der Zeit nach doch zunächst. Der Bauer, der über alles andere Geistertreiben spottet, der Haus- und Berg-, Feld- und Wassergeister, der Gespenster und des wilden Heeres ja Gottes selber lacht, er zittert vor der Macht einer triefaugigen alten Frau. Ich wählte aus der Menge von Geschichten, die mir vorliegen, nur wenige und bezeichnende Stücke, die entweder einen neuen Zug enthalten, oder als Zeugnisz dienen, dasz ihre Art auch hier bekannt ist. Genau hängt mit den Hexen als solchen sowohl, wie als verunstalteten Elben der blaue Gickel zusammen, eine Art von glückbringendem Kobold (115—117). Hier wurde nun eine kleine Excursion nöthig durch die Verwandtschaft zwischen Hexen und Zauberern (119-126) die natürlich auf den Teufel führte, (127—132) der uns jedoch zu unsern elbischen Geistern zurück bringt, denn in den meisten dieser Sagen ist er nur eine Art von Kobold. Diese Elben sind nun sehr oft nichts als umirrende Seelen ( 133, 134), wie denn die Irrlichter (135—139) vor allen einen rein koboldischen Character tragen, nun gutmüthig zur Hülfe bereit, dann wieder tückevoll den Wanderer hintergehend. Daran reihen sich leicht andere Sagen vom Zustand der Seelen beim oder nach dem Tod, (140—174) wo sie als Gespenster umgehen, elbischer Natur werden. Dafür ist nun manches Wichtige mitgetheilt und die Frage ihrer Lösung ein Stück näher geführt. Alle diese Seelen seufzen nach Erlösung, die ihnen in manchen Fällen jedoch, gerade wie den weiszen Frauen, nur zu Theil wird, wenn ein im Leben vergrabener Schatz gehoben ist. An Sagen über solche Schätze ist wieder keineswegs Mangel und auch in Bezug auf sie muszte eine Auswahl getroffen werden, (175—192) wobei ich mich nur auf das Characteristische beschränkte. Der eigentliche Schatzhüter der alten Sage ist der Drache, (193) der zwar hier nicht als solcher vorkommt, aber es ursprünglich wohl war.
Ihm verwandt sind Schlange und Unke (194) und damit stehen wir an den Thieren, besonders den weisenden, mit welchen sich 196 und 197 beschäftigen. So in das Naturleben eingetreten, folgen zunächst die Elemente, namentlich die beiden hauptsächlichen und einander feindseligen Feuer (199, 200) und Wasser (201-212). Die Erde und Luft sind unvertreten, dafür reihe ich die in ersterer wurzelnden in letzterer wachsenden Bäume6) (213-215) hier ein. Endlich folgen Sagen verschiedener Art, von denen viele in die genannte Ordnung eingefügt wären, wenn ich sie nicht zu spät erhalten hätte. Unter ihnen finden sich auch (254-263) Schwänke, und ich glaube nicht, deren Aufnahme vertheidigen zu müssen. Je mehr man in das Volksleben eindringt, je mehr aus seinen reichen und tiefen Schachten zu Tage gefördert wird, um so mehr überzeugt man sich, daß da an Beleutungsloses und Unwichtiges nicht zu denken ist.
Die Zahl des neu Ersonnenen ist gering und kaum anzuschlagen, das Meiste und Schönste und Tüchtigste ist alt, das ist eine unwegfegbare Wahrheit. Zwar verstehen wir noch verhältniszmäßig wenig davon, aber hüten wir uns, irgend etwas am Wege liegen zu lassen und es des Aufhebens unwürdig zu erachten, weil es scheinbar werthlos ist. Sammeln wir nur immer zu und bringen wir das Gefundene in die große Werkstätte der Oeffentlichkeit, damit jeder es prüfen könne und der Meister wird sich schon finden, der scharfen Auges den Werth erkennt und den Gehalt würdigen und herausziehen wird. Einst, es sind kaum fünfzig Jahre, stießen tiefere Gemüther auf die Lieder des Volkes und bald wurde deren Bedeutung erkannt, die bis dahin Verachteten waren gefeiert. Die Verwandten und Freunde unserer Brüder Grimm lachten über die kindische Beschäftigung dieser Männer mit den Märchen und Sagen des Volkes und jetzt lesen und studiren fast mehr Männer als Kinder dieselben. In den letztern Jahren noch dachte man wenig an die Kinderlieder und Spiele und jetzt schlagen wir Gold aus ihnen, seit sie gesammelt vorliegen. Ebenso wird es mit den Volkswitzen, Schwänken, Anecdoten, Räthseln u.a.m. gehn, wenn sich nur einmal gottgesegnete Hände um sie bemühen. Gern hätte ich ihrer mehr mitgetheilt, wäre nicht Plan und Anlage der Sammlung mir entgegen gewesen; derlei will allein stehen und fordert ein eignes Buch; die wenigen schlüpfen schon durch, da sie sich nicht allzuweit von der Sage entfernen. Möge bald ein Berufener uns eine reiche Lese dieser ergötzlichen Blüthen deutschen Scherzes vorlegen.
Der Rest sind Sagen verschiedenen Inhalts, ein Nachtrag und eine arme Handvoll Legenden schlieszt die Sammlung.
In den Anmerkungen habe ich selbstverständlich keine erschöpfende Kritik üben, oder alle den mitgetheilten Sagen verwandten zusammenstellen wollen; nur ein paarmal erging ich mich ausführlicher. Sie sollen nur andeutende Winke geben, ein tieferes Eingehen auf den Stoff hebe ich für den zweiten Band meiner Beiträge zur deutschen Mythologie auf. Mancher wird diese Anmerkungen nicht lesen wollen, für ihn habe ich im Register bei den einzelnen Gruppen von Sagen Nachweisung gegeben, wo er sich über deren Inhalt und Bedeutung vorläufig näher unterrichten kann. Vielleicht fühlt sich der eine oder der andere dann aufgefordert diesen Dingen weiter nachzugehn und in die vollen Schatzkammern der Grimmschen Forschungen zu greifen, und das wäre mein schönster Lohn.
Jugenheim am 20. Januar 1853
Quellen:
- Johannes Wilhelm Wolf, Hessische Sagen, Leipzig, 1853