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Die weiße Jungfer am Oechsenberg

Die weiße Jungfer vom Oechsenberg, die oft an der alten dicken Linde am Ebenweg im Walde ruhte, ehe sie wieder nach der Stelle des ehemaligen Schlosses zurückging, kam lange Zeit regelmäßig Abends nach dem Hofe Poppenberg und setzte sich dort in der Pachterswohnung auf den Ofenstein. Die Leute hatten sich nach und nach an sie gewöhnt und ließen sie ruhig gehen. Da wurde die Pachterin schwanger und als sie niederkam, verlor die weiße Frau ihr stilles Wesen und zeigte sich überall gar rührig, trug das Kleine, wenn es weinte und schlummerte es ein.

Am neunten Tage beugte sie sich über das Bett und bat die Frau um Erlaubniß, das Kleine dreimal küssen zu dürfen, sie würde dadurch erlöst, die Pachterin aber und das Kind glücklich werden. Die Mutter gab ihr die Erlaubniß, und als darauf die weiße Jungfer das Kind dreimal geküßt hatte, sagte sie noch der Frau, sie möchte ihr mit dem Kleinen nach dem Keller folgen. Dort aber sprach sie, sie wollte ihr jezt einen reichen Schatz überliefern, da möge sie ihr vorher noch versprechen, das Getreide stets ordentlich zu messen und nicht zu streichen und auch sonst gegen die Armen wohlthätig zu sein. Hierauf verschwand die weiße Frau auf immer, an der Stelle aber, wo sie gestanden, stieg ein reicher Geldschatz in einem Kessel aus dem Boden. Die Leute waren nun reich und glücklich, als sie aber ihr Gelübde vergaßen, kamen sie zurück.

Ein Schäfer von Völkershausen wußte den Schluß der Sage also: Als die weiße Frau das Kind dreimal geküßt, sagte ste der Mutter: Noch bin ich nicht erlöst, komme aber mit Deinem Kinde nach Jahresfrist in den Keller; dort werde ich Dir als eine häßliche Schlange wieder erscheinen, fürchte Dich aber nicht und vertraue mir ganz. Lasse das Kind mit seinem Händchen noch dreimal auf den Kopf schlagen und wir sind Alle glücklich.„

Die Frau gelobte es und ging ein Jahr darauf mit dem Kinde auf dem Arm auch richtig in den Keller. Hier sah sie die Schlange und da sie fest auf das Wort der weißen Frau baute, so erfüllte sie, wenn auch mit innerem Grauen, deren Wunsch. Nach dem dritten Schlage ringelte sich die Schlange einigemal krampfhaft zusammen, und plötzlich sah die Pachterin statt des häßlichen Gewürms die weiße Frau wieder vor sich stehen, die, nachdem sie ihr liebevoll gedankt, alsbald wieder verschwand. Da aber, wo sie gestanden, erhob sich ein mächtiger Geldkessel aus dem Boden.

Quellen: