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Vom Paulus, dem Räuber am Baier
Vor wohl mehr als hundert Jahren hauste in den Vorbergen der Rhön, hauptsächlich am Baier, ein gefürchteter Räuber mit Namen Paulus, vor dem die Leute eine solche Angst hatten, daß sie nicht einmal seinen Namen gern auszusprechen wagten, weil er überall auch erschien, wo er genannt wurde, denn er hatte mit dem Unreinen einen Pakt geschlossen und große Macht dadurch erlangt. Er konnte die Leute festmachen, die er mit seiner Bande berauben wollte, und ließ er sich einmal fangen und einstecken, so war sicher darauf zu rechnen, daß Paulus am andern Morgen wieder auf und davon war, denn für ihn fand sich keine Mauer zu dick und zu hoch und kein Schloß und Riegel zu fest. Hatte er aber keine Luft sich den Häschern zu überliefern, dann machte er sich unsichtbar oder verwandelte sich in einen Hund oder auch in einen schwarzen Kückelhahn, krähte von dem ersten besten Dache auf die Häscher herab, oder machte sie fest und lachte sie aus.
So waren einmal einige seiner Bande bei einem Bauer in Mittelsdorf eingestiegen, um diesem, von dem sie nicht wußten, daß er auch mehr konnte, als Brod effen, den großen Kessel aus der Küche zu stehlen. Der Bauer aber hatte Unrath gemerkt, schlich sich in die Küche, bannte die Räuber fest, als sie eben den Kessel ausheben wollten, und rief dann die Häscher aus Kaltennordheim herbei. Doch ehe diese noch das Gesindel schließen konnten, stand auch schon Paulus mitten unter ihnen. Der aber vermochte mehr als der Bauer, löste dessen Bann, machte ihn sammt den Häschern nun selbst fest und verschwand mit seinen Gesellen und dem Kessel.
Ein ander Mal verkaufte ein reicher Bauer zu Glattbach ein Paar fette Ochsen an einen Megger. Als er nun sein Geld Abends bei Licht nochmals nachzählen wollte und sein Kind nach den blanken Laubthalern griff, um damit zu spielen, drohte er ihm, das ganze Geld dem Paulus geben zu wollen. Das Kind aber hatte keine Ruhe. Da strich der Bauer ärgerlich die Thaler in den Beutel, schob das Fenster auf und hielt ihn mit den Worten hinaus: „Da, Paulus, hast Du das Geld!“ Und der ließ sich so etwas nicht zweimal heißen, griff zu und verschwand.
Nur vor zwei Leuten in der dortigen Gegend hatte Paulus, wie er selbst sagte, Respect, der eine war der Hexenmeister Joseph, ein Schlosser in Wiesenthal, der andere der alte Papiermüller bei Weilar, denn wenn der Räuber diesen legtern des Nachts mit seiner Bande heimsuchen wollte, fand er die Mühle entweder rundum mit Wasser umgeben, oder an Ketten hoch in der Luft schweben. Paulus trieb sein Wesen lange Zeit fort, bis er endlich von den Gerichten mit Hülfe des erwähnten Schlossers Joseph in einem seiner Schlupfwinkel, einer Höhle im Ibegarte (Eibengarten) über dem Dorfe Glattbach, dem „Paulusloche“, festgenommen wurde.
Joseph hatte zu diesem Zwecke für den Räuber ein besonderes Schloß gemacht, welches dieser trop seiner Zauberkraft nicht wie die andern aufzublasen vermochte. Paulus wurde verurtheilt, auf dem Neuberge an den Galgen geknüpft zu werden; da aber das Gericht immer noch fürchtete, daß er auf dem Wege dorthin dennoch entspringen möchte, so ließ es einen besondern Kasten1) zum Transport des Räubers machen, aus dem Kopf, Hände und Füße so heraus ragten, daß sie von außen nochmals geschlossen werden konnten. Als denn Paulus endlich auf die Leiter gebracht war, bat er um die Gnade, Gottes Erdboden noch einmal betreten zu dürfen. Dies wurde ihm aber verweigert, und nun gestand er, daß er die Bitte darum gestellt habe, um dem Verfertiger jenes Schlosses noch einen Tucks anthun zu können. Der Hexenmeister Joseph, der so etwas vermuthete, soll sich deshalb aber auch den ganzen Tag in seinem Keller aufgehalten haben, weil er sich unter der Erde vor der Zauberei des Räubers sicher wußte.
Quellen: