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Die Schlüsselblume am Baier

Am Baier ging einst ein armer Mann, ein Kösenmacher von Gehaus, am Johannistage, um Saalweiden zu schneiden oder Kräuter zu suchen. Da gewahrte er dicht vor sich eine prächtige Blume. Und als er sie ausrupfte, um sie mit nach Hause zu nehmen, sah er zu seiner Ueberraschung an der Wurzel einen alten mächtigen Schlüssel hängen. Noch größer war sein Erstaunen, sich plötzlich vor einem gewölbten Eingang in den Berg stehen zu sehen, aus welchem ihm eine holdselige Jungfrau entgegenwinkte. Als sich der erste Schrecken des armen Mannes gelegt, folgte er getrost der Jungfrau, die ihn durch einen langen, langen Gang in ein hell erleuchtetes Gewölbe führte. Nimm, so viel Du vermagst!„ sagte hier die Jungfrau und deutete auf ein offenes Faß mit goldenem Weizen. Der Maun besann sich, steckte aber doch eine Hand voll in die Tasche und verließ dann das Gewölbe. An der Pforte hörte er nochmals die Stimme der Jungfrau, welche rief: „Vergiß das Beste nicht!“ Er aber war froh, als er den blauen Himmel wieder erblickte, und schritt rasch durch die Thür, die krachend hinter ihm ins Schloß flog. Da erst fiel ihm bei, daß er die schöne Blume mit dem Schlüssel zurückgelassen; er wollte umkehren, allein die Thür war verschwunden. Aergerlich griff er in die Tasche und warf auch den Weizen von sich, der ihm seiner Meinung nach doch nichts helfen konnte. Dieser aber wurde von einem schwarzen Vogel aufgesucht und gierig verschluckt.

Am andern Tag sah der arme Mann mit Erstaunen, daß sich die wenigen Weizenkörner, die in seiner Tasche stecken geblieben waren, in blanke Goldstücke verwandelt hatten, und da ärgerte er sich nun gewaltig, daß er die andern so leichtsinnig weggeworfen.

Quellen: