<<< zurück | Sagen der mittleren Werra | weiter >>>
Die Frau Roll in Wiesenthal
Von Roßdorf zieht sich die Straße in südwestlicher Richtung zwischen dem Nebel- und dem Hornberg nach dem weimarischen Dorfe Wiesenthal. Jenseits desselben liegt zwischen den Saatfeldern an einem Abhang auf dem Weg nach Fischbach der Köppelsgarten. Dort läßt sich, wie die Sage geht, von Zeit zu Zeit eine weiße Jungfrau - die Frau Rollblicken. Sie trägt einen glitzernden Schlüsselbund an einem prächtigen Gürtel.
„Mein Großvater “, erzählte eine junge Bäuerin,„kam eines Abends mit meinem Vater, der ein güldenes Sonntagskind war, noch spät mit dem Geschirr von Fischbach. Als sie in die Nähe des Köppelsgartens angelangt waren, scheute plötzlich eines der Pferde und wollte nicht von der Stelle, da spannten sie es ab und banden es hinten am Wagen an; doch auch hier hatte das Thier keine Ruhe. Da blickte mein Vater zufällig nach dem Garten und siehe, die weiße Jungfer stand dort dicht am Zaune.
Mein Vater faßte den alten Mann an der Hand und führte ihn auf die Erscheinung zu und sprach: “„Seht, da steht die weiße Jungfer!“„ Der aber wurde sie immer noch nicht gewahr; da streckte mein Vater den Arm aus, deutete auf die Gestalt und sagte: “„Guckt doch, seht Ihr's denn noch immer nicht, da steht sie ja, ich betippe sie ja fast mit dem Finger!“„ Darob aber erschrak mein Ellervater gar sehr, schlug seinen Jungen auf die Hand und riß ihn zurück, und im nämlichen Augenblick verschwand die Erscheinung.“
Aber auch im Pfarrhause und in dem alten, jezt abgerissenen Wirthshause zu Wiesenthal hat sich die weiße Jungfrau gezeigt. Hier schaltete und waltete sie als guter Hausgeist und half da und dort nach, wenn die Mägde in der Küche oder im Stalle etwas versäumt oder vernachlässigt hatten, hat sich aber auch im Pfarrhause seit langen Jahren nicht wieder sehen lassen, dagegen erschien sie Dem und Jenem in der Flur.
Ihr Erscheinen bedeutet dem, der sie gewahrt, an bestimmten Tagen Glück, an andern Unglück.
Quellen: