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Von der weißen Jungfer am Klasberg bei Friedelshausen

Nahe bei Friedelshausen erhebt sich ziemlich steil der Klasberg. Hier soll sich zu gewissen Zeiten eine weiße Jungfrau sehen lassen. Ein Hirtenknabe ging einst in der Mittagsstunde dorthin, um in einem Kruge Brunnen zu holen; da fand er die weiße Jungfer an der Quelle sitzend, und da er sich vor ihr fürchtete, umwandte und von der Erscheinung seinem Vater erzählte, sprach ihm dieser Muth ein und rieth ihm, sofern sie ihm vorkomme, die Jungfer nur dreift nach ihrem Begehr zu fragen. Dies that auch der Knabe schon am andern Tage. Und so erfuhr er denn von ihr, daß sie verwünscht sei und er sie erlösen könne, was, wenn er es wolle, sein Schaden nicht sein würde. Und als sie der Knabe fragte, wie er dies zu beginnen habe, sagte ihm die Jungfrau, daß er sich andern Tages gerade in der Mittagsstunde mit einem weißen Tuche hier einfinden solle, dann wolle sie auch hier sein, aber freilich nicht in ihrer jezigen Gestalt; doch solle er nur nicht den Muth verlieren und sich von ihrem Aeußern nicht abschrecken lassen, sondern sie nur dreist mit dem weißen Tuche bedecken und dann dreimal küssen, es würde ihm dabei kein Leid widerfahren. Der Knabe versprach Alles auf's Beste zu besorgen.

Als er aber am andern Tag um die bestimmte Stunde sich wieder an der Quelle einstellte, da sah er eine scheußliche Natter an der Stelle wo die Jungfrau gesessen und wandte mit Abscheu dem Unthier den Rücken. Als er sich aber noch einmal umblickte, du gewahrte er wieder die Jungfrau in ihrer vorigen Gestalt, die ihm nun mit klagender Stimme die Worte nachsandte: „Thörichter Knabe, hättest Du die Schlange geküßt, so wäre ich jetzt erlöst und Du der Reichste und Glücklichste auf Erden.“

Quellen: