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Das Heer in Bernshausen
Im Felda und Rosagrund läßt sich bisweilen ein Schaar feiner luftiger Wesen, so eine Art von Nixen, Elfen oder dergleichen, sehen, vom Volke „das Heer“ genannt. Es ist gutartiger Natur und thut Niemandem was zu Leide. Necken darf man es freilich auf seinen Zügen nicht, die es bei Nacht regelmäßig und zwar nur durch diejenigen Häuser hält, in denen drei aufeinander stoßende Thüren aus Liederlichkeit oder Versehen offen gelassen sind. Der Durchzug des Heeres wird dann für das Haus als Glück bringend betrachtet.
So war in Bernshausen eine fromme und fleißige Bäuerin, in deren Hause grade auch drei Thüren zufällig aufeinander stießen, die hatte eines Abends spät noch alle drei sperrangelweit offen stehen lassen, und da sie noch zum Brodbacken für den folgenden Tag einsäuern wollte, so ging sie in die Küche, um das Wasser vom Feuer zu holen. Die gute Frau dachte an nichts weniger als an das Heer; sie erschrak daher gar arg, als sie mit dem Säuerwasser wieder in den Hausern trat und dort schon die Ersten des Zuges durch die Vorderthür einschlüpfen sah. Die Frau hatte nichts Eiligeres zu thun, als bei Seite zu springen, sich an die Wand zu drücken und das Heer ruhig vorüberziehen zu lassen. So huschten sie, ohne dieselbe zu beachten, still durch das Haus. Nur eins der luftigen Wesen hatte, wie die Bäuerin deutlich gesehen, seine zarten Finger in das warme Wasser getaucht. Allein da die Frau nichts Uebels in dem Gefäß bemerkte, so säuerte sie getrost mit dem Wasser, und sie hatte noch nie so köstliches und wohlschmeckendes Brod aus dem Ofen gebracht. Sie trug die Laibe zum Aufbewahren in den Keller, von wo sie dann einen um den andern zum Gebrauch wieder heraufholte,
Eines Tages fiel es ihr auf, daß das Brod so ungewöhnlich lange ausreiche, sie zählte nach und fand nun, daß sie weit mehr aus dem Keller geholt, als sie beim legten Gebäcke hinunter getragen, und doch standen immer noch etliche Laibe auf dem Gerüste. Da fiel es ihr ein, daß dieser Segen wohl von dem Säuerwaffer, in welches die Eine von dem Heere ihre Finger getaucht, herrühren müsse, dankte im Stillen dem gütigen Wesen und verschwieg auf lange Zeit ihr Glück. Endlich aber konnte sie es nicht über sich gewinnen und verplapperte Alles an ihre Nachbarin. Als nun die Bäuerin am folgenden Tag wieder in den Keller hinabstieg, um Brod zu holen, da fand sie das Gerüste leer, und das hatte sie ihrer Schwatzhaftigkeit zu verdanken.
Quellen: