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Die Männlein auf der Stoffelskuppe
Ein Mann von Roßdorf ging noch eines Abends spät von Salzungen wieder nach Hause. Die Geisterstunde überraschte ihn in der Nähe der Stoffelskuppe. Da gewahrte er dicht vor sich auf dem Pfade einen Basaltblock, den er dort auf dem Hinwege nicht bemerkt hatte, dachte sich jedoch nichts Arges dabei und ging einen Schritt seitwärts, um den Block zu umgehen. Allein im nämlichen Augenblick hüpfte ihm auch der Stein dorthin vor die Füße. Der Roßdorfer stutzte, glaubte sich vielleicht beim Sternenlicht getäuscht zu haben und betrat wies der den Pfad. Bevor er jedoch auch hier wieder einen Schritt zu thun vermochte, hüpfte ihm aufs Neue der Block vor die Füße.
Dem Roßdorfer stiegen die Haare zu Berge. In seiner Angst wollte er das Weite suchen. Er sprang bald rechts, bald links; jedoch wohin er sich auch wandte, überall kam ihm das ungeheuerliche Ding zuvor. Da blieb er stehen, faßte sich ein Herz und rief: „Wer Du auch sein magst, ich habe Dir nichts zu Leid gethan, darum laß mich in Gottes Namen meines Weges ziehen, denn Du hast doch keinen Theil an mir.“ Als der Roßdorfer solches gesprochen, hörte er zu seiner Rechten ein helles Gelächter, wie von vielen Hundert Kinderstimmen herrührend. Vor Schrecken wagte er sich nicht umzublicken, denn in selbigem Augenblick erschien ihm an der Stelle des Blocks ein gar zierliches, schwarzes Männlein, auf deffent Haupt ein mit Edelsteinen geschmücktes goldenes Krönlein hell im Sternenlichte funkelte.
Dieses maß den Geängstigten einen Augenblick mit seinen klaren Aeuglein von Kopf bis zu Füßen und sprach also zu ihm: „Du irrst, wenn Du glaubst, ich habe keinen Theil an Dir; wisse, daß ich der König dieser Berge und ihrer Geister bin. Dort die Stoffelkuppe ist mein Schloß, und jeder Sterbliche, der zu dieser Stunde im Jahre hier vorüber zu ziehen gedenkt, ist mir verfallen und dienstbar; mache also keine Umstände und folge mir hinauf nach meinem Schlosse.“ Als das Männlein so gesprochen, hörte der Roßdorfer von dorther aufs Neue das Gelächter, das sich aber bald in einen gar lieblichen Kindergesang umwandelte. Als er unwillkürlich den Blick dorthin wandte, da „wibelt und wabelt“ die ganze Kuppe wie ein Ameisenhaufen von lauter kleinen, schwarzen Männlein von denen jedes ein Lichtlein auf dem Kopfe trug.
Dem Roßdorfer wurde immer banger. Noch einmal wollte er versuchen, seitwärts in den Wald zu flüchten, allein seine Beine waren so schwer wie Blei. Da faltete er in seiner Herzensangst die Hände, betete inbrünstig zu Gott, daß er ihm in seiner Noth seinen mächtigen Beistand nicht versagen möge, und plötzlich fühlte er sich federleicht. Mit einem Satze erreichte er das Dickicht und eilte unter dem abermaligen Gelächter der Kleinen jetzt unangefochten durch Dick und Dünn auf dem kürzesten Wege nach Hause.
Quellen: