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Der Schäfer von Rosa und die Jungfrau auf der Stoffelskuppe

Da war auch ein Schäfer von Rosa, der einst, als er droben auf der Eller die Schafe hütete, eine gar wunderliche Musik von der Kuppe her hörte. Der Schäfer war neugierig, wollte Näheres erkunden, ging hinauf und stand vor einer bildschönen, weißgekleideten Jungfrau mit goldgelbem Haar. Die that gar freundlich mit ihm, schenkte ihm eine ganze Tasche voll Knotten und sagte ihm dabei, sie würde ihm noch gar oft die Taschen füllen, wenn er davon einen guten Gebrauch machen und einen rechtschaffenen, frommen Lebenswandel führen wollte, denn dadurch könnte auch sie wieder zu ewiger Ruhe gelangen, die sie schon so lange wegen früherer sündhaften Neigungen verloren hätte. Der Schäfer bedankte sich, gelobte ihr Alles, ging sodann zu seiner Heerde zurück und griff hier in die unterdessen immer schwerer gewordene Tasche, um zu sehen, was ihm das Kuppenfräulein doch eigentlich geschenkt habe; und siehe, da brachte er eine Hand voll Gold um die andere heraus. Der Schäfer lachte, freute sich darüber und trieb seine Heerde nach Hause, that aber nicht wie ihm das Fräulein befohlen, wurde vielmehr ein arger Schlemmer und liederlicher Geselle.

Als er nun sein Gold bis auf den lezten Heller durchgebracht, gedachte er sich neues droben auf der Stoffelskuppe zu holen, ging auch hinauf und hörte wieder von oben herab eine liebliche Musik, die aber diesmal gar traurig klang. Als er oben auf der Kuppe angelangt, stand richtig auch wieder das Fräulein vor ihm, doch diesmal in einem schwarzen Kleide und mit gar wehmüthigem Angesicht. Sie beschenkte ihn zum zweiten Mal, aber nicht wieder mit Knotten, sondern mit blanken Goldstücken.

Wer war jetzt froher als der Schäfer. Er konnte vor Freude kaum einige Worte des Dankes hervorbringen; doch als er auf dem Heimwege in die Tasche griff, um die Goldstücke zu überzählen, da gewahrte er zu seinem Schrecken, daß er für seinen liederlichen Lebenswandel von dem Kuppenfräulein bestraft worden sei; denn die blanken Goldstücke hatten sich in taube Knotten verwandelt.

Quellen: