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Die Verwunschenen auf dem Kraienberg

Ein junges Mädchen aus Kieselbach ging eines Nachmittags über den Kraienberg nach Tiefenort in die Schlagmühle. Als das Oel fertig war und sie ihren Rückweg antreten wollte, ersuchten sie die Leute dazubleiben, weil die Nacht hereingebrochen; das Mädchen aber, die ihren Schatz gebeten hatte, ihr bis zum Wald entgegenzukommen, wollte nichts davon wissen und trat den Rückweg an. Als sie den Wald erreicht, sah sie in einiger Entfernung vor sich eine Laterne, die bergauf ging. Das Mädchen in der Meinung, es sei ihr Liebster, rief diesen mehrmals beim Namen und suchte das Licht zu erreichen. Das aber schien immer mehr auszureißen. Und blieb sie stehen und zankte ihrem Schatz, daß er sie so foppe, dann hielt auch die Laterne an.

So war sie ohne Ahnung nach und nach auf der Höhe angekommen und stand plötzich mitten im alten Gemäuer des verfallenen Schlosses. Hier verschwand das Licht; in dem Augenblick aber wurde es wieder hell, und um sie herum saß ein Kreis riesengroßer, langbärtiger Männer, von denen sich einer erhob und ihr andeutete, die Küße abzuhocken. Sie that es, zitterte aber vor Angst am ganzen Leibe. Da faßte sie der, küßte sie und warf sie seinem Nachbar auf den Schooß, der küßte sie auch und that wie der erste, und so flog sie rüber und nüber von einem Schooß auf den andern, und das ging so rasch, daß das Mädchen kaum wußte, wie ihr geschah. Endlich kam sie wieder zu sich und schrie jämmerlich um Hülfe. Das hörte ihr Liebster, der sie verfehlt hatte, stürzte nach dem alten Schloß hinauf und fand sein Mädchen endlich, seiner Glieder nicht mehr mächtig, in dem alten Gemäuer am Boden liegen.

Die bärtigen Männer aber waren verschwunden, sie hatten eine reine Jungfrau geküßt und waren nun erlöst. Das Mädchen aber starb drei Tage nach jenem Abend.

Quellen: