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Vom Thränenkrüglein in Unterrohn

In dem Dörfchen Unterrohn steht an einem Raine nach Tiefenort zu ein Haus, darinnen starben den Leuten kurz nach einander zwei Kinder in noch zartem Alter, und die Mutter konnte des Abhärmens und des Weinens kein Ende finden. Alle Vorstellungen ihres Mannes, daß sie die Kinder dadurch doch nicht in's Leben wieder zurückrufen könnte und ihnen nur die Ruhe im Grabe raube, fanden kein Gehör. So saßen die beiden Eheleute eines Abends wieder beisammen, und der Mann bot Alles auf, die laut weinende Frau zu trösten, als die Stubenthüre plötzlich sich öffnete, die beiden Kinder, jedes mit einem Krüglein in der Hand, still eintraten, sich auf die Ofenbank setzten und die arg bewegte Mutter eine Weile gar traurig beobachteten. Erschrocken stierten die beiden Eltern nach der Erscheinung hin. Da begann das älteste der Kinder: „Mutter, Mutter, warum weinet Ihr nur immer noch so sehr und raubt uns die Ruhe im Grabe, weint doch nicht mehr! Seht, in diesen Krügen müssen wir in unsern Gräbern alle Eure Thränen auffangen. Fast sind sie schon voll, und wenn sie überlaufen, dann werden wir bei dem lieben Gott ja nicht in Gnaden angenommen. Weint also nicht mehr!“ Nach diesen Worten erhoben sich die Kinder wieder und verschwanden durch die Thüre. Im Auge der Frau aber hat Niemand mehr eine Thräne gesehen.

Quellen: