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Von der Schlüsselblume auf dem Ringelstein
Eines Tages sah der Förster von Waldfisch auf dem alten Schlosse droben eine ungewöhnlich große und schöne Schlüsselblume blühen. Da dachte er bei sich: die bringst du deiner Liebsten mit heim. Er knickte sie ab und steckte sie auf den Hut. Da er sich wieder erhob, erschrack er nicht wenig, als er eine weiße Jungfrau von wunderbarer Schönheit vor sich erblickte. Sie stand vor einer weitgeöffneten, mit reichem Schnitzwerk verzierten Thür, die zu einem Gewölbe führte, von dem er zuvor nie etwas gesehen hatte. Der Förster faßte sich ein Herz und folgte der freundlich winkenden Jungfrau in den Berg. Diese deutete jezt auf einen großen Haufen, der wie eitel Gold schimmerte, und sagte zu dem erstaunten Förster: „Nimm so viel, als Du zu tragen vermagst,“ und er that, wie ihm geheißen, und füllte sich die Taschen.
Als er sich hierauf anschickte, den Keller zu verlassen, rief ihm die Jungfrau nach: „Förster, Förster! Du vergisst das Beste!“ Der aber hatte keine Zeit und suchte das Freie, und wie er nun durch die Thüre sprang, schlug ihn die so heftig an die Ferse, daß er vor Schmerz laut aufschrie; die Thüre aber war verschwunden. Nun erst bemerkte der Förster, daß er den Hut, den er in dem verwünschten Keller aus Respekt vor dem Fräulein abgelegt, sammt der schönen Blume zurückgelassen habe. Doch tröstete er sich damit, daß er nun sein Leben lang vollauf habe. Vergnügt fuhr er mit beiden Händen in die vollen Taschen, um sich an dem Anblick des Goldes zu weiden, allein wie erschrack er, als er statt schönen gelben Goldes nichts als Knotten herausbrachte. „Das heißt man doch einen ehrlichen Kerl an der Nase herumführen“ rief er ärgerlich und schleuderte das Zeug ins Gebüsch.
Nach Hause gekommen, warf er die Jacke auf die Bank, stutzte aber gewaltig, als ihm mit einem Mal ein blankes Goldstück vor die Füße rollte. „Sollte es am Ende doch“, brummte er vor sich hin, griff hastig wieder nach der Jacke und fand auch wirklich, nachdem er die Taschen umgekehrt, noch einige Goldstücke darin. Bleich vor Entsezen, daß er so leichtsinnig sein Glück in's Gebüsch geworfen, hinkte er nun, so schnell es ihm der lahme Fuß erlaubte, wieder nach dem Ringelstein und durchsuchte Hecken und Sträucher. Vergebens! Alles war verschwunden. Die Ferse aber wurde immer schlimmer und heilte auch nicht eher, als bis das letzte Goldstück „verdoktert“ war.
Um dieselbe Zeit mag es gewesen sein, daß einige arme Weibsleute von hier nach dem Ringelstein in's Grafen- oder Kräutersuchen gingen. Als sie sich nun an dem Bergvorsprung, auf dem das alte Schloß stand, vereinzelt hatten, sah eine derselben vor sich eine wunderbare und gar köstliche Schlüsselblume, und als sie die Augen von der Blume erhob, gewahrte sie zu noch größerem Erstaunen eine starke und mit allerlei Schnitzwerk verzierte Thür in dem Berge. Da dachte die Frau, daß es wohl der Eingang zu den unterirdischen Gewölben und Kellern, in denen die Schätze des Ringelsteins begraben wären, sein könne. Als sie sich nun von ihrem Schrecken etwas erholt, faßte sie sich soviel als möglich ein Herz, schritt an der Blume vorbei nach der Thüre zu und merkte, daß sie mit einem gewaltig schweren Schloß versehen. Sie betrachtete es lange hin und her, fand aber nirgends das Schlüsselloch; endlich nahm sie ihre Sichel und klopfte damit so lange auf das Schloß, bis jene in Stücken zersprang. Nun war guter Rath theuer, denn die arme Frau wußte nicht, daß sie nur die Blume zu brechen und das Schloß damit zu berühren brauche, um es sich sogleich öffnen zu sehen.
Sie lief daher in ihrer Rathlosigkeit zu ihren Kameraden und theilte ihnen Alles, was sie gesehen und gethan, mit. Kaum aber hatten diese die Sache erfahren, als sich alle nach dem bezeichneten Orte auf den Weg machten, und da nun jede die erste auf dem Platze zu sein und das Beste von den Schätzen für sich allein wegzuschleppen gedachte, so hielt immer eine die andere zankend und schreiend auf, so daß, als sie die bezeichnete Stelle keuchend erreichten, von Allem sich nichts weiter vorfand als die Grastöße und die gebrochene Sichel. Nun erst erkannten sie Alle ihre Thorheit und machten sich gegenseitig die bittersten Vorwürfe und keine wollte laut geschrieen und gezankt haben.
Eine Andere von hier sah auch, währenddem sie schwarze Beeren suchte, dort droben die Schlüsselblume und die Thür und hing, da es ihr zu warm geworden war, ihre Jacke ohne Arg an den Kloben. Der Frau aber wurde es gewaltig gruselig, als sie wieder nach Hause, wollte, keine Spur mehr von der Thür gewahr wurde und ihre Jacke an einem Haselbusch hängen sah.
Quellen: