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Der Thau vom Birnbaum
Mal waren zwei hübsche Mädchen und zwei Graben, und die Graben liefen nach den Mädchen. Das war des Nachts. Und die Mädchen liefen in den Wald und kletterten auf einen Baum hinauf, und die Graben wussten nicht, wo sie geblieben waren. Sie kamen aber auch an den Baum und sprachen da zusammen. Und der erste sagte: »Was thätest Du machen, wenn Du die Deine hier hättest?« Und der andere sagte: »Ich hätte mit meiner so gemacht (sie so gehauen).« Dabei zog er den Säbel und schlug gegen den Birnbaum und traf das eine Mädchen ans Bein. Die aber sagte deswegen1) kein Wort und rührte sich nicht. Wie nun das Blut niedertröpfelte, sagte der eine Grab zum andern: »Tajka šopła roska pada, es fällt solch' warmer Thau«. Dann gingen sie weg und nach ihnen die Mädchen nach Hause. S.
Zwei Draben hatten sich (in der Spinnstube) mit zwei Mädchen beim Tanzen verabredet, sie wollten sich im Walde treffen (abends auf dem Jämlitzer Felde an einem Birnbaum). Wer zuerst an einem bestimmten Baume wäre, sollte da warten. Die Mädchen waren zuerst da und kletterten auf den Baum. Denn sie wollten hören, was die Draben verabreden würden. Dann kamen auch die Draben und sprachen, der erste: »Co ga ty z tej twojeju budźoš? was wirst Du mit der Deinigen [machen]?« Der andere: »Ja budu jej rämene po chrebeće drěć, der Meinen thät ich Riemen vom Rücken herunterziehen«.2) (Nägel unter die Fingernägel schlagen, – ich hätte sie im Kessel gekocht.)« Dann stach der erste mit dem Messer nach oben (sie stachen mit Spiessen) und schlug dem einen Mädchen den Daumen (weliki palc) ab (trafen sie ins Bein, denn das hatte sie herunter zu hängen), dass es sehr blutete und das Blut niederrann, das Mädchen aber verhielt sich ruhig. Da sprachen sie: »Tajka ćopła roska kapa, solcher warmer Thau tropft herunter« und dachten, es wäre schon so früh und liefen weg. Gablenz, Jämlitz.
Die Graben waren gut befreundet mit dem Wodernyks und gingen auch mit ihm zu Tanze und sahen zu. Und dem Wodernyks lief immer das Wasser vom Kleide, daran erkannten ihn dann die Leute. Der wollte gern mit den Mädchen tanzen, aber keine hat mit ihm getanzt. Wie nun die Graben am Abend fortgingen, gingen ihnen die Mädchen nach und sahen, dass beide im Walde auf eine Eiche heraufkrochen. Da wollten sie die Graben gern »herunter haben« und fingen an mit Steinen nach ihnen zu werfen. Wie sie aber die nicht vom Baume »herunterkriegten«, so stachen sie mit einem spitzen Dinge (Messer) nach ihnen. Da fing der eine Grab an zu bluten und die Mädchen fürchteten sich, dachten: es kommt so warmer Thau herunter. Dann sahen sie aber: es war Blut. Das soll bei Trebendorf geschehen sein [g.v.]. S.
Quelle: Schulenburg, Willibald von: Wendisches Volksthum in Sage, Brauch und Sitte. Berlin: Nicolai, 1882, S. 2.