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Der Schlüssel
Nach Baierode kam alljährlich gegen Johanni ein Venetianer, der hielt sich einige Lage bei dem alten Fuchs auf und suchte Steine in der Gegend. Die Johannisnacht über blieb er jedesmal außer dem Hause, und am Morgen darauf kam er stets mit schwerem Tornister zurück, nahm Abschied von seinem Wirth, und schenkte allemal dessen Tochter ein Goldstück. Einst als er wieder Abschied nahm, und in seine Heimath zurückreisen wollte, gab er seinem Wirth einen wunderbar geformten Schlüssel und sprach: „Ich bin nun bei Jahren, und habe genug des Goldes aus Thüringen geholt, ich werde nicht wieder kommen. Ihr habt mich immer gut aufgenommen, und ich will dankbar sein. In diesem Schlüssel gebe ich Euch ein Geschenk, das Euch, wenn Ihr Muth habt und es geschickt zu benutzen versteht, zum reichsten Manne machen kann. Nehmt in jeder Johannisnacht diesen Schlüssel, and geht in die Kniebreche. Auf der Seite des Berges gen Morgen werdet Ihr ein hohes Thor erblicken, welches das ganze Jahr hindurch nicht sichtbar ist. Dieses Thor bildet den Eingang zu einer tiefen Berghöhle, der Schlüssel hier öffnet es, Ihr geht hinein. Dann werdet Ihr an ein zweites und drittes Thor kommen, welche Pforten von feuerspeienden Ungeheuern bewacht werden, die Euch scheinbar zu verschlingen drohen. Ihr geht muthig vorbei, steckt in jedes Thor den Schlüssel, und alle springen auf, ohne daß Euch ein Leides geschähe. Wenn Ihr durch das dritte Thor seid, so kommt Ihr zu einer großen Braupfanne voll Gold, und davon nehmt Ihr, so viel als Ihr tragen könnt, und kehrt Euch an nichts, es mag hinter Euch oder neben Euch vorgehen was da will, redet nicht, seht Euch nicht um, und vergeßt bei Leibe nicht den Schlüssel wieder mit heraus zu nehmen.“ Darauf schüttelte der Venetianer dem alten Fuchs die Hand, schied von ihm mit dem Bergmannsgruß Glückauf, und zog seines Weges von dannen.
Nie hat man ihn seitdem wieder in der Gegend gesehen. In der nächsten Johannisnacht nahm der alte Fuchs seinen Schlüssel, und ging in die Kniebreche. An der bezeichneten Stelle fand er richtig das beschriebene, und zuvor nie gewahrte Thor. Alles begab sich, wie der Venetianer gesagt; der Schlüssel schloß. Vor dem zweiten Thor saßen zwei große grimmige Hunde mit Feueraugen wie Teller, schwarz und zottig, wie Bären, mit blutroth aus dem Rachen hängenden Zungen. Der Höhlengänger ließ sich nichts anfechten, er probirte kühn den Schlüssel, das Thor ging auf, die knurrenden Hunde wurden ruhig. Vor dem dritten Thor saß ein feuerspeiender Drache mit armslangen Zähnen, und spie Feuer gegen den alten Fuchs, dem dabei doch nicht so ganz wohl war. Doch faßte er sich ein Herz, erinnerte sich der Worte seines Gönners, und ging nicht zurück; vielmehr ging er geradewegs auf den Drachen und das Thor los, und steckte den Schlüssel in das Schlüsselloch. Das Thor that sich auf, und der Drache verkroch sich mit kläglichem Gewinsel ins Geklüft. Und nun stand der alte Fuchs vor der Braupfanne voll gehäufter Golbstücke, steckte bedächtig erst den Schlüssel in die Lasche seiner Jacke, und begann gierig einzusacken. Plötzlich entstand hinter ihm ein furchtbares Getöse, als ob der Berg einstürze, und erschrocken sah sich der alte Fuchs um, was ihm doch verboten war. Da wankte und bebte die ganze Höhle, entsetzt warf Fuchs das Gold hin, lief zum Ausgang, hinter ihm her schnaubte der Drache, und beim zweiten Thor schnappten beide Hunde ihm nach den Beinen, denen er nur mit einem ungeheuern Satz entgehen, und die Ausgangspforte gewinnen konnte. Bei diesem Satz hüpfte der Schlüssel ihm aus der Tasche und blieb in der Höhle liegen, deren Thor krachend hinter dem alten Fuchs zuschlug, und sich für ewige Zeiten den Sterblichen verschloß.
Quellen:
- Ludwig Bechstein - Der Sagenschatz und die Sagenkreise des Thüringerlandes, Meiningen und Hildburghausen, 1857, Verlag der Kesselringschen Hofbuchhandlung, Band IV S. 167-170