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Eselsfuß und Eselskopf
Ohnweit Liebenstein und Baierode, da, wo das Thüringerthal seinen Anfang nimmt, sind große Felsenlager. Mitten im Waldweg aber liegt eine Steinplatte, darauf man einige Vertiefungen sieht, wie Spuren eingedrückter Fußtapfen eines Thieres. Die Leute erzählen, daß einst der Herr Christus auf seinem Esel die Felswand herabgesprengt sei, und der Esel in dem Stein seine Fußtapfen zurückgelassen habe, und nennen die Platte den Eselsfuß, oder auch den Eselssprung. Die bewaldete Felskuppe daneben wird der Eselskopf genannt, und dort, wird gesagt, sollen die Venetianer viel Gold geholt haben. Alljährlich in der Johannesnacht thut sich am Eselskopf eine Höhle auf, welche das ganze übrige Jahr unsichtbar bleibt, dort sind die Venetianer hineingegangen und haben sich Gold geholt, so viel sie davon schleppen konnten.
Gewöhnlich wohnten sie beim Vater des alten Löser, und einmal haben sie ihn auch aus Dankbarkeit mit in die Höhle genommen, damit er sich auch eine Tragt Gold hole. Löser ging ein Stück mit hinein, und sah Goldstangen wie Eiszapfen darin hängen, dazwischen aber lag eine große Schlange, über welche man schreiten mußte, um zu den Goldstangen zu gelangen. Da sich nun der alte Löser dieses zu thun nicht getraute, so mußte er die Höhle so arm verlassen, wie er gekommen war.
Einst hütete in der Nähe des Eselskopfes der Liebensteiner Hirt, der nahmt einen Stein auf die Schöpfe, und wollte ihn nach einer Kuh werfen. Da trat eben ein Venetianer zu ihm, der rief: „Halt!“ und nahm ihm den Stein von der Schöpfe, betrachtete ihn und sprach: „den Stein, den Du da nach der Kuh werfen wolltest, ist mehr werth, wie Deine ganze Heerde.“ Darauf schlug er ein Stück davon ab, und zeigte es ihm, ehe er den Stein einsteckte. Und der Stein, wo er abgeschlagen war, funkelte im Glanz der Sonne, daß dem Hirten die Augen schmerzten und er hinwegblicken mußte.
Quellen:
- Ludwig Bechstein - Der Sagenschatz und die Sagenkreise des Thüringerlandes, Meiningen und Hildburghausen, 1857, Verlag der Kesselringschen Hofbuchhandlung, Band IV S. 161-163