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Der Scheerstieg und der feurige Mann

Der Weg von Barchfeld nach Liebenstein führt über den Rand eines Hügels, der Urschberg genannt. Dort ist es nicht geheuer, und der Weg heißt vielleicht davon der Scheerstieg, weil der harmlose Wanderer, der ihn zur Nachtzeit betrat, vielfach geneckt, oder, wie es in der Sprachweise der Gegend heißt: „geschoren“ wurde. Bald hörte der Wanderer ein klägliches Wimmern dicht vor, neben oder hinter sich, bald tanzten Lichterchen im Felde umher, und suchten ihn irre zu leiten, bald begegnete ihm ein großer schwarzer Hund mit feurigen Augen, der knurrend bei ihm vorbeischnob. Wenn Fuhrleute den Weg zur Nachtzeit mit Geschirr passirten, widerfuhr es ihnen nicht selten, daß sie ein Rad verloren, dem ohngeachtet aber der Wagen, von unsichtbarer Hand gehalten, noch eine weite Strecke auf drei Rädern fortrollte, ehe sie ihren Verlust gewahr wurden, und der Wagen dann endlich umfiel. Oder es entstand auch plötzlich ein sonderbares Geräusch, so daß die Pferde stuzten, die Nüstern weit aufbliesen, unruhig und scheu wurden. Ehemals ist auch lange Zeit ein feuriger Mann dort umgegangen, der that aber Niemanden etwas zu Leide, sondern ging vor den Leuten her, und leuchtete ihnen bis ans Dorf, daß sie des Wegs nicht fehlen konnten, und nicht über die vielen in demselben liegenden Steine stolperten. Weiter aber bis an die ersten Häuser des Dorfs ging er nicht mit; dann blieb er stehen, sah den Leuten noch ein Weilchen mit trauriger Miene nach, und ging zurück, andern zu leuchten, die etwa noch kommen könnten.

Einst kam ein armer Mann mit seinem Schiebkarren des Wegs gefahren, und wurde von dunkler Nacht überfallen. Da ging der feurige Mann vor ihm her und leuchtete ihm bis nach Barchfeld. Als sie nun Barchfeld erreicht hatten, und der feurige Mann nicht weiter mitgehen konnte, rief ihm der arme Schiebetärner seinen Dank mit einem herzlichen „Lohns euch Gott!“ nach. Da kehrte der feurige Mann um und dankte jenem mit gerührter Stimme für diesen herzlichen Wunsch, und sprach: „Mehr als hundert Jahre hindurch habe ich wohl schon Laufenden geleuchtet, doch hat noch keiner mir dafür ein Wort des Danks zugerufen, das allein von meiner Qual mich erlösen und mir Ruhe geben konnte. Du bist der erste, der mir dankt, du hast mich erlöst und mir zur ewigen Ruhe verholfen durch deine Worte. Habe Dank dafür, und möge es dir ewig wohl ergehen, wie du mich ewig glücklich gemacht hast.“ Darauf verschwand der feurige Mann, und niemals ist er seitdem wieder gesehen worden.

Quellen: