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Sybillenweissagung
Unterm Volke im Meininger Unterland geht die Sage, daß in grauen Zeiten in jener Gegend eine Sybille gelebt und geweissagt. Weit aus dem fernen Arabien kam sie dahergezogen, die braune Tochter des Morgenlandes, und seltsam und wunderbar, wie ferner Cymbelklang in einsamer Wüste, klingen die Töne ihrer dunkeln und räthselhaften Prophezeihungen. Also lautet eine derselben: Einst wird der Türke mit furchtbarer Heeresmacht sich rüsten, und aufbrechen, ganz Deutschland mit der Schärfe des Schwerdts zu schlagen, zu unterjochen und zu verwüsten. Oesterreich und Baiern erliegen der Streitmacht des ungeheuren Türkenheeres. Aerndten werden zertreten, Dörfer und Städte verbrannt und dem Erdboden gleich gemacht. Da wird das ganze übrige Deutschland zusammentreten im großen Heerbann, und dem Türkenschwarm entgegenziehen zum verzweifelten Vernichtungskampfe. In der hiesigen Gegend, im Werragrund, sollen dann beide Heere aufeinander stoßen, und eine furchtbare Vertilgungsschlacht schlagen, aus der nur wenige der Türfen entrinnen werden. Und selbst von diesen Wenigen wird keiner die deutsche Gränze überschreiten, und die Kunde von dem Untergang seiner Landsleute in die ferne Heimath tragen. Der Sultan selbst wird in der Schlacht mitten auf der Werrabrücke bei Barchfeld von den ergrimmten Deutschen erschlagen werden. Drauf wird das deutsche Heer in die Türkei einbrechen, die Sultansstadt zerstören, und dem Reiche des Erbfeinds der Christenheit schnell und für immer ein Ende machen. Oestreichs und Baierns verwüstete Dörfer und Städte aber werden schöner denn zuvor in kurzer Zeit wieder aufgebaut werden, und Deutschlands Gauen fortan grünen und gedeihen in ewigem Frieden. So zeugte die Sybille.
Quellen:
- Ludwig Bechstein - Der Sagenschatz und die Sagenkreise des Thüringerlandes, Meiningen und Hildburghausen, 1857, Verlag der Kesselringschen Hofbuchhandlung, Band IV S. 139-140