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Der Jungfernstein
Ueber dem Dorfe Helmers liegen auf einem steilen Berge die Trümmer des Schlosses Frankenberg. Wann dieses Schloß erbaut worden, ist eben so wenig geschichtlich zu erweisen, als wann dasselbe zerstört worden. Die alten Chronisten nennen diese Burg einen Sitz mehrer Frankenherzoge, und soll im Jahr 403 der Herzog der Ostfranken Markomir I. und 423 Markomir II. auf dem Frankenberge gestorben, und jeder in der Nähe nach heidnischer Art begraben worden sein. Noch zeigt man den Platz, und nennt ihn: die Heidengräber. Unterhalb des Burgberges, nahe an dem sogenannten Kutschenweg, der von Helmers nach Breitungen führt, steht ein alter Stein, den man den Jungfernstein nennt, und darüber folgende Sage erzählt. Auf dem Frankenberge hauste ein Ritter mit einer einzigen geliebten Tochter zur Zeit, als die Hunnen in Thüringen einfielen. Bald war von ihrem verderblichen Schwarme auch der Frankenberg bedroht; der Ritter sammelte seine Mannen, setzte die Burg in Vertheidungsstand, legte seine beste Rüstung an, und sprach zu seiner Tochter, sie zärtlich umarmend: Wenn ich falle, so entfliehe Du durch den unterirdischen Gang, der in das Dickicht des Waldes führt, dort wirst Du wohl geborgen sein, und von den Feinden nicht entdeckt werden. Gott mit Dir! Darauf bestieg er sein Roß, und zog den Hunnen, die schon durch das Thal drangen, entgegen. Aber bald mußte er mit seinem Häuflein der Uebermacht weichen und sein Roß zur Flucht spornen, dicht hinter sich die wüthenden Feinde. Und als er zu seiner Burg kam, ließen die darin zurückgebliebenen Knechte die Zugbrücke nicht nieder, sondern aufgezogen, weil sie fürchteten, der Feind möchte gleich nachdringen, der Ritter aber spornte sein Roß zum wilden Sprung hinüber, wodurch er in den Felsengraben stürzte, und elendiglich den Hals brach. Seine Tochter vernahm in ihrem Gemach das Angstgeschrei der Knechte und das Wuthgebrüll der Feinde, und flüchtete mit ihrer treuen Zofe durch den unterirdischen Gang. Es lief auch ein Hündlein mit, das nicht von der Herrin lassen wollte. Die beiden Jungfrauen gelangten durch den dunkeln Gang in das Walddickigt, fürchteten sich sehr, und erstiegen einen Baum, denn sie vernahmen Stimmen der Feinde, die sie suchten. Der Baum hätte sie wohl geborgen, aber der Hund wurde ihr Verräther, der bellte laut, und sah hinauf auf den Baum, und wollte hinauf. Da fielen die armen Jungfrauen in die Hände der Feinde, die nach hunnischer Art mit ihnen verfuhren, darüber sie das Leben lassen mußten. An der Stelle soll später zum Gedächtniß der Jungferstein gesetzt worden sein.
Quellen:
- Ludwig Bechstein - Der Sagenschatz und die Sagenkreise des Thüringerlandes, Meiningen und Hildburghausen, 1857, Verlag der Kesselringschen Hofbuchhandlung, Band IV S. 132-134