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Das Marienbild
Im Klosterhofe zu Memleben steht im Durchgange der Oekonomiegebäude nach dem ehemaligen Kloster ein hölzernes Marienbild, das Christuskind im rechten Arm, und in der linken Hand einen Engel mit einer Krone haltend, von sehr alter Arbeit, von dem Allerlei erzählt wird. Unter anderm trug es sich einmal zu, daß zwei Jungen Abends mit einander über den Hof gingen und der Eine anfing, das Bild zu höhnen. Der Andre verwieß es ihm, und sagte, er solle doch dieses Bild unbeleidigt lassen, es könne ihm Schaden bringen. Ei! rief der Junge: Was kann mir das todte Bild thun? nahm es gleich vom Postament herab, trug es gegenüber zu einer offnen Feuerpfanne, wo man Wasser für das Vieh heiß machte, und warf es in die Gluth. Aber das Bild verbrannte nicht, sondern blieb unversehrt. Am andern Morgen stand es wieder an seinem Ort, zu gleicher Zeit aber hörte man ein Gezeter, und nahm wahr, daß der gottlose Junge hoch oben auf der Kirchentrümmer saß, in großer Noth und Angst, und konnte nicht wieder herunterkommen, bis man ihm mit Leitern zu Hülfe kam. Auf Befragen, was er da oben gesucht und wie er hinaufgekommen, wußte er nichts zu sagen, als daß er nicht wisse, wie er dort hinaufgekommen sei.
Quellen:
- Ludwig Bechstein - Der Sagenschatz und die Sagenkreise des Thüringerlandes, Meiningen und Hildburghausen, 1857, Verlag der Kesselringschen Hofbuchhandlung