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Die Haßfurtjungfrau
Nahe bei Meiningen ist ein Bergwald, die Haßfurt, gelegen, darin findet sich noch eine alte Burgstätte, die Haßburg, Habsburg, neuerer Zeit auch, wiewohl unrichtig, Habichtsburg genannt; an diese knüpft sich manche Sage. Es sollen Raubritter auf der Burg gehaust haben, welche die tief unten durch ein enges und schauriges Waldthal vorbeiziehende ehemalige Landstraße nach Franken unsicher gemacht hätten, zumal in Verbindung mit der nicht weit davon liegenden zerstörten Burg Landeswehr, jetzt Landsberg. Im Schooße dieses Berges, wie im Innern der verborgenen Keller der Haßburg, sollen große Schäße liegen. Dort läßt sich nun alle hundert Jahr die sogenannte Haßfurtjungfer sehen, in weißer Kleidung mit einem Schlüsselbund; ein schwarzer Hund folgt ihr bisweilen. Wenn die Zeit da ist, wo sie erscheinen darf, ist ihr vergönnt, ein ganzes Jahr lang zu wandeln, dann wird sie häufig erblickt auf der alten Burgstätte, wie in der Waldung und unten im Thale, und bemüht sich, Menschen zu finden, welche den Schatz heben, denn an die Hebung des Schatzes ist ihre Erlösung geknüpft.
Vor mehr als hundert Jahren hatten einige Prinzen ein Jagen angestellt, und der Hofjäger war mit mehrern Burschen voraus, das Nöthige anzuordnen. Als das geschehen, harrten die Jäger der Herrschaft an einer geeigneten Stelle, und zwar unter dem Berg, darauf damals noch die Trümmer der Haßburg standen, da wurden die Weidgesellen geworfen, erst mit Erde, dann mit Mörtel und kleinen Steinen. Sie glaubten, es seien Kameraden von ihnen da oben versteckt und neckten sie; aber das Werfen hörte nicht auf, und es kamen immer größere Steine geflogen. Da schalt der Hofjäger und eilte den Berg hinauf, mitten durch den Steinregen.
Oben aber war Niemand, und es warf nicht mehr, und war alles todtenstill. Und wie er sich umwandte, siehe, so stand schleierweiß die Haßfurtjungfrau vor ihm, nur einen Augenblick, und von ihrem Schlüsselbund fiel ein Schlüssel; schnell verschwand sie. Der Jäger sah zur Erde, da lag der Schüssel wirklich und zwei schöne goldgelbe Blumen standen da. Er hob den Schlüssel auf, achtete aber der Blumen nicht. Unterdeß war die Herrschaft unten im Thale angekommen, und er eilte zurück und zeigte seinen Fund. Stand weiter nichts dabei? fragte gleich Einer aus dem Zuge. Ja, zwei gelbe Blumen, antwortete der Finder. Hättet Ihr diese gepflückt, wäret Ihr glücklich gewesen!
Flugs eilte der Hofjäger wieder den Berg hinauf, die Blumen zu pflücken, sie standen aber nicht mehr da. Oft soll die Haßfurtjungfrau erschienen sein; der Schatz ist noch ungehoben, vergebens sucht man den Zugang zum Burgkeller. Einen fremden Schlossergesellen, der nie in diese Gegend gekommen war, träumte einst, daß unter den Ruinen der Haßburg ein großes Gewölbe sei voll Rüstzeug, Waffen und Gold; er solle hingehen und den Schatz heben. Zum Wahrzeichen werde er ein Messer mit hirschhornenem Griff finden. Er ging in den Wald, fand die Burg und das Messer, aber es lag auf einem Felsen, und er wußte weiter nichts damit anzufangen.
Quellen:
- Ludwig Bechstein - Der Sagenschatz und die Sagenkreise des Thüringerlandes, Meiningen und Hildburghausen, 1857, Verlag der Kesselringschen Hofbuchhandlung