<<< | Sagen aus Thüringens Vorzeit, den drei Gleichen, dem Schneekopf und dem thüringischen Henneberg | >>>
Die Doppelehe, eine abweichende Sage
Nach andern Kunden hieß jener Graf von Gleichen nicht Ernst, sondern Ludwig; er wurde in einem Treffen bei Ptolemais von den Sarazenen zum Gefangenen gemacht, nach Alkair gebracht und in einem wohlverwahrten Thurm eingekerkert. Dort sah die Sultanstochter am Fenstergitter des Thurms den schönen Gefangenen; sie erfuhr seinen Stand, und schenkte ihm ihre Liebe. Darauf nahm sie eines Freudenfestes wahr, warf sich zu ihres Vaters Füßen und erflehte von ihm die Gewährung einer Bitte. Als nun seine Liebe ihr diese unbedenklich zusagte, erbat sie die Freiheit des Gefangenen und seinen Besitz. Staunen und Bestürzung ergriff den Sultan, aber die Thränen und Bitten seines geliebten Kindes siegten, und er hielt sein Wort und erfüllte ihre Bitte. Mit Reichtümern und Schätzen aller Art ausgestattet, schifften sich die Liebenden nach Venedig ein, und alles begab sich, wie vorhin berichtet. Noch sagen Andre, es habe die Sarazenin dem Grafen vor ihrer Ankunft in Deutschland, da sie lange Zeit mit ihm traulich zusammengelebt, einen Sohn geboren, den beide in Blumenthal in Franken zurückgelassen. Der schöne Knabe sei einem reichen und angesehenen Mann zur Erziehung übergeben worden, der ihn zuletzt aus Liebe an Kindesstatt angenommen. Er wurde Landwirth, verheirathete sich später und ward Vater mehrer Kinder. Aus dieser Familie, so geht die Sage, wird Einer einst einen großen Schatz heben, wenn der rothe und gelbe Löwe aus der Mauer eines alten Schlosses wird weggeschafft worden sein.
Quellen:
- Ludwig Bechstein - Der Sagenschatz und die Sagenkreise des Thüringerlandes, Meiningen und Hildburghausen, 1857, Verlag der Kesselringschen Hofbuchhandlung, Band III S. 113-114