<<< | Sagen aus Thüringens Vorzeit, den drei Gleichen, dem Schneekopf und dem thüringischen Henneberg | >>>
Die Gleichische Doppelehe
Es war im Jahr 1227, daß Kaiser Friedrich der zweite eine Meerfahrt gegen die Saracenen unternahm, ihnen das heilige Grab abzugewinnen. Da entbot Landgraf Ludwig der Fromme alle seine Vasallen und die Ritterschaft des ganzen Thüringer Landes, und ließ sich nebst ihnen mit dem Kreuze zeichnen.1)
Unter den Grafen und Herren, die ihn begleiteten, war der Besten einer Graf Ernst von Gleichen. Treulich folgte er seinem Lehensherrn, dem edlen Ludwig, und weinte mit an seinem Sterbebette zu Otrando, andre sagen, zu Hidrunt oder Brundus, wo der Landgraf an einem hitzigen Fieber starb. Der tapfre Graf von Gleichen blieb jedoch ferner im Heere des Kaisers und stritt mit großer Tapferkeit und Heldenmüthigkeit gegen die Heiden, nachdem der Kaiser glücklich zu Akkon oder Ptolemais angelangt war. Dieser schloß einen Waffenstillstand mit dem Sultan und kehrte zurück, den Grafen mit Andern zum Schutz der befestigten Stadt zurücklassend. Nun ritt Graf Ernst von Gleichen eines Tages mit nur zwei Dienern aus Akkon, um einen Streifzug zu machen, denn die Unthätigkeit mißhagte ihm; er entfernte sich aber allzuweit von der sichern Verschanzung, stieß auf einen großen Haufen Araber und wurde nach tapferer Gegenwehr gefangen genommen, als Gefangener nach Alkair geschleppt und dort an den Sultan verkauft. Grausam hart behandelt und wie ein gemeiner Sclave gehalten, brachte er mehre Jahre in der schwersten Dienstbarkeit zu. Da geschah es durch Gottes Fügung, daß die Tochter des Sultans, eine schöne, liebreizende Jungfrau, zärtliche Neigung zu dem Grafen gewann, dessen Knechtesgestalt seine männliche Schönheit nicht ganz verhüllen konnte, und dessen Biederkeit und Adel aus seinen treuen deutschen Augen sprach. Sie näherte sich ihm mit freundlicher Zusprache und suchte sein hartes Loos zu mildern; sein Diener hatte ihr seine Herkunft und seinen Stand vertraut. Die Neigung der Sultanstochter wuchs mehr und mehr und wurde starke Liebe, die sie so sehr überwältigte, daß sie selbst sich dem Grafen zum Weibe antrug und ihn frei zu machen verhieß. Wie lieb und wünschenswerth dem Grafen nun auch die Freiheit war, so sagte er der Sarazenenjungfrau doch offen und ehrlich, daß er bereits im Vaterlande eine Gattin und zwei Kinder habe, und daß sein Glaube ihm verbiete, mehr als eine Gemahlin, und noch dazu eine Heidin, zu besitzen. Sie erwiederte hierauf, daß sie gern Christin werden wolle, und konnte nicht begreifen, wie ein Glaube das verbieten könne, was im Orient allgemeine Sitte. Und die Liebe zur Freiheit besiegte endlich in dem Grafen die Bedenklichkeiten; er hoffte vom Papst Dispensation und von seiner Hausfrau Verzeihung, die ohne der Sultanstochter hülfreiches Erbieten zur Wittwe und Mutter vaterloser Waisen geworden wäre. Hierauf wurde durch vertraute Diener ein Schiff bestellt, darauf entflohen die Liebenden mit großen Schätzen, kamen nach Venedig und reisten nach Rom. Dort ward dem Papst die Sache vorgestellt, die schöne Sarazenin empfing die heilige Taufe, und der Graf die erflehte Erlaubniß, sich zu der einen Gemahlin in der Heimath hauch noch die zweite antrauen lassen zu dürfen. Und als dieß geschehen war, reisten die Glücklichen ohne Säumen nach Thüringen. Als sie noch zwei Tagereisen vom Schlosse Gleichen entfernt waren, eilte Graf Ernst voraus, seine Hausfrau vorzubereiten, die ihn alsobald erkannte und auf das zärtlichste willkommen hieß. Nun erzählte er ihr alles, seine Gefangennehmung, seine harte Sclaverei, seine endliche Erlösung durch die königliche Jungfrau, die Erhalterin seines Lebens, die Befreierin aus neunjähriger Knechtschaft, wie sie ihm zu Liebe gefolgt sei mit allen ihren Kleinodien und Schätzen, ihm zu Liebe den Christenglauben angenommen, in Rom getauft worden sei, und bewegte das Herz der edlen deutschen Frau so, daß sie gern und freudig in das willigte, was als einzigen Lohn ihrer großen Opfer die Sarazenin begehrte, wobei sie gelobte, ihr eine dankbare Freundin zu werden. Darauf gingen Graf und Gräfin von Gleichen mit großem Pomp und Gefolge der Fremden, welche des Weges nachgezogen kam, entgegen, und Gott fügte es, daß beide Frauen einander herzinniglich liebgewannen und in größter Eintracht mit einander lebten; auch ruhten die Drei so traut Verbundenen in einem Bette. Die Sarazenin, wie schön sie war, blieb mit Kindern ungesegnet, liebte aber desto mehr die Kinder der ersten Gemahlin und pflegte diese, wie wenn sie ihre eigenen gewesen wären. Und wie die beiden Frauen mit ihrem Gemahl ein Bette getheilt, so theilten sie auch mit ihm, als er ihnen, die vor ihm starben, bald nachgefolgt, ein Grab, auf dem Petersberge zu Erfurt, dem Gleichischen Erbbegräbniß.
Quellen:
- Ludwig Bechstein - Der Sagenschatz und die Sagenkreise des Thüringerlandes, Meiningen und Hildburghausen, 1857, Verlag der Kesselringschen Hofbuchhandlung, Band III S. 109-112