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Die Geißelfahrer
Als der schwarze Tod durch alle Lande wüthete, und die Juden verbrannt und erschlagen wurden, da kam viele Leute eine Reue an, und wollten Buße thun für ihre Sünden, die thaten sich zusammen zu großen Genossenschaften und trugen Geißeln, mit denen sie sich schlugen; deßhalb wurden sie Geißler, Flagellanten genannt, und weil sie auf ihrem Haupt Hüte mit rothen Kreuzen trugen und ihre Mäntel mit Kreuzen bezeichneten, nannte man sie auch Kreuzbrüder. Sie hielten sich in Haufen von zwei-, auch dreihundert Männern und noch mehr zusammen, und hatten diese Regel: Wer in ihre Brüderschaft treten wollte, der mußte geloben, dreißig, andre schreiben, vierundvierzig Tage darin zu bleiben, und mußte so viel Geld zur Zehrung haben, als er in dieser Zeit zur Nothdurft brauchte, denn keiner durfte um Almosen bitten. So zogen sie von einer Stadt zur andern, trugen Fahnen, Kreuze und Kerzen in den Händen, und wenn sie an eine Stadt kamen, da wurde ihnen mit allen Glocken entgegen und willkommen geläutet. Nun zogen sie hinein, paarweise bis an die Kirche, jeder trug seine Geißel voll Knoten mit eingeflochtenen Drathspitzen und Nägeln. Jetzt sangen sie allzumal und überlaut ihre Lieder, welche die Vorsänger, deren jeder Haufe zwei oder drei hatte, anstimmten. Sie sangen diese Lieder oder Laisen in einzelnen Gesetzen und Strophen. In den Kirchen thaten sie ihre Mäntel ab, zogen die Schuhe aus und zeigten sich nackt bis zum Gürtel, von dem ein leinen Tuch bis über die Schenkel hing, und begannen sich mit ihren dreistriemigen Geißeln blutig zu schlagen. Es lautete aber das Lied, welches sie auf der Betfahrt sangen, da sie wanderten, also:1)
Ist diese Betfahrt so here
Durch des milden Christus Ehre,
Er führte zu Jerusalem
Ein Kreuz in seiner Hand
Nun helfe uns der Heiland!
Nun ist die Betfahrt also gut,
Hilf uns durch dein heiliges Blut,
Daß Du am Kreuze vergossen hast,
Und uns in dem Elend gelassen hast.
Nun ist die Straße also breit,
Die uns zu unser lieben Frauen treit (trägt)
In unsrer lieben Frauen Land,
Nun helfe uns der Heiland!
Wir sollen die Buße an uns nehmen,
Daß wir Gott und Christus baß getzemen, (ziemen)
Das bitten wir sunder (besonders) alle gleich.
So bitten wir den heiligen Christ
Der aller Welt gnädig ist.
In den Kirchen schwenkten sie ihre schönen gestickten Fahnen von Goldstoff und Purpurseide, und zeigten und lasen einen Brief vor, den ein Engel vom Himmel herabgebracht haben sollte; darinne stand, daß Gott erzürnt sei über die Welt, und wollte sie untergehen lassen; aber seine Mutter Maria und die Engel haben ihn um Barmherzigkeit gebeten; und noch viele andere Dinge. Wenn nun die Pfaffen fragten: Wer hat euch den Brief besiegelt, so fragten die Geißler zurück: Wer hat euch die Evangelia besiegelt? denn sie kehrten sich nichts an die Klerisei, und thaten ihre Buße ohne Rath und Zuthun der Geistlichkeit und Kirche. Wenn sie sich so geißelten vor allem Volk, war großer Zulauf, es zu sehen, und das Volk schluchzte und weinte vor Andacht und Rührung. Und wenn das Blut in Strömen auf ihre Lenden floß, so sangen sie während der Procession:
Wer seine Seele will berathen,
Der soll entgelten und wiedergeben,
So wird seiner Seele Rath,
Dazu hilf uns lieber Herre Gott!
Sünder womit willst Du mir lohnen
Drei Nägel und eine dornige Krone?
Das heilige Kreuz, ein Speer, ein Stich?
Sünder, das litt ich um Dich,
Was willst Du nun leiden um mich?
Nun tretet her, wer büßen welle! (will)
So fliehen wir die heiße Hölle;
Lucifer ist ein bößer Geselle!
Wen er hat, mit Pech er ihn labt.
Das fliehen wir, ob (wenn) wir haben Sinn!
Dazu hilf uns, Maria Königin.
Das wir Deines Kindes Huld gewinnen.
Nun rufen wir mit lautem Tone:
Unsern Dienst, den nimm zum Lohne!
Behüt uns vor der Hölle Noth.
Deß bitten wir Dich durch Deinen Tod!
Für Gott vergießen wir unser Blut,
Das ist uns zu den Sünden gut.
Jesus Christus ward gefangen,
An ein Kreuz ward er gehangen;
Das Kreuz ward vom Bluthe roth,
Wir klagen seine Marter und Tod.
Maria, Mutter, Königinne,
Um Deines lieben Kindes Minne,
All unsre Noth sei dir geklagt!
Deß hilf uns Mutter, reine Magd.
Die Erde bebet, auch klaffen die Steine,
Liebes Herze, du sollt weinen.
Wir weinen Thränen mit den Augen,
Und haben deß so guten Glauben,
Mit unsern Sinnen und mit Herzen,
Um uns litt Christ viel manche Schmerzen.
Maria stand in großen Nöthen,
Da sie ihr liebes Kind sah tödten,
Ein Schwerdt durch ihre Seele schneid't;
Sünder, das laß Dir sein Leid
Wenn sie nun am Schluß der Procession an die Stelle kamen, wo das Lied lautete:
In kurzer Frist
Gott zornig ist:
Jesus ward gelabt mit Gallen,
Deß sollen wir an ein Kreuze fallen!
so knieten sie alle nieder, und schlugen kreuzweis mit ausgebreiteten Armen und Händen auf die Erde, und hatten sich besondere Zeichen ausgedacht, daß, welcher ein Ehebrecher war, der legte sich auf die Seite, und wer einen Mord begangen, legte sich auf den Rücken, und wer meineidig war, der streckte zwei Finger neben dem Daumen in die Höhe, wie ein Schwörender; so hatten sie der Zeichen viele für die Hauptlaster und Sünden. Wenn sie nun lagen, blieben sie so lange liegen, als man fünf Vaterunser spricht, dann kamen die zwei Meister, und gaben jedem einen Streich mit ihrer großen Geißel, sprechend: Steh auf, daß Dir Gott alle Deine Sünden vergebe! dann erhoben sie sich zu knien, und der Vorsänger begann den Gesang:
Nun recket auf eure Hände,
Daß sich solch Sterben wende!
Nun recket auf eure Arme,
Daß Gott sich über uns erbarme!
So reckten sie Alle ihre Arme kreuzweise empor, und schlugen drei oder viermal die Brust, singend:
Nun schlaget euch sehre,
Durch Christus Ehre!
Um Gott so laßt die Sünde nunmehre!
Durch Gott so laß die Hoffarth faren,
So will sich Gott über uns erbarmen!
Mittlerweile erhoben sie sich, und hielten ferner den dreimaligen Umgang und sangen, sich blutig geißelnd:
Jesus, durch deine Namen drei
Nun mach' uns hier von Sünden frei,
Jesus, durch deine Wunden roth,
Behüt uns vor dem jähen Tod!
Damit er sende seinen Geist,
Und uns das kärglich leist'!
Frau und Mann ihr Eh zerbrechen
Das will Gott selber an ihnen rächen,
Schwefel, Pech und auch die Galle,
Das gießet der Teufel in sie alle:
Fürwahr, sie sind des Teufels Spott,
Dafür behüt uns, lieber Gott!
Die Eh', die ist ein reines Leben,
Die hat uns Gott selber gegeben.
Ich rath euch Frauen und Mannen,
Um Gottes Willen, ihr sollt Hoffarth bannen:
Darum bittet euch die arme Seele,
Um Gott, lasset Hoffarth nunmehre.
Christus rief im Himmelreich
Seinen Engeln allzugleich:
Darum will ich sie auch lassen vergehn;
Maria bat ihr Kind so sehr:
Liebes Kind laß sie dir büßen,
Das will ich schaffen, daß sie müssen
Bekehren sich, das bitt ich Dich!
Ihr Lügner ihr Meineidschwörer,
Beichtet rein und lasset die Sünde euch reuen,
So will sich Gott in euch verneuen!
O weh du armer Wucherer,
Du bringst ein Loth auf ein Pfund,
Das senkt dich in der Hölle Grund!
Ihr Mörder und ihr Straßenräuber,
Ihr seid dem lieben Gott zuwider,
Ihr wollt euch über Niemand erbarmen,
Darum seid ihr ewiglich verloren.
Wär' diese Buße nicht geworden,
Die Christenheit wäre gar verschwunden,
Der leidige Teufel hat sie gebunden,
Maria hat gelöst unsre Bande.
Sünder ich sage Dir liebe Mähr,
Sankt Peter ist Pförtner,
Wende Dich an ihn, er läßt Dich ein,
Er bringt Dich vor die Königin.
Lieber Herr Sankt Michael,
Du bist ein Pfleger aller Seel,
Behüt uns vor der Höllen-Noth
Das thu durch deines Schöpfers Tod!
Wenn nun der Umgang gehalten war, so drängten die Reichen und die ehrbaren Bürger hinzu und luden die Geißler zu sich, und nahm jeder auf, so viel er herbergen konnte, denn keiner von der Brüderschaft durfte Herberge bitten, noch ungeladen ein Haus betreten; keiner durfte auch mit einer Frau reden, wer das brach, der kniete vor dem Meister und beichtete ihm, und dieser hieb ihn mit der Geißel und sprach:
Steh auf durch der reinen Marter Ehre,
Und hüt' dich vor der Sünden mehre.
Unter den Geißlern waren Ritter, Bürger und Priester, aber kein Priester durfte ihr Meister sein. Zweimal des Tages nahmen sie die öffentliche Geißelung vor. Wenn sie einen Ort verließen, so zogen sie in Procession aus, wie sie gekommen waren, mit Kreuzen, Fahnen und Kerzen, und geißelten sich. Wieder wurde mit allen Glocken geläutet und die Geißler sangen:
O Herre Vater, Jesu Christ,
Wennt (welcher) Du allein ein Herre bist!
Der uns die Sünde mag vergeben,
Nun friste uns Herre auf besser Leben,
Daß wir beweinen Deinen Tod,
Wir klagen Dir, Herr, all unsre Noth.
Auch sangen sie unter vielen andern Liedern, die in der Geißelfahrt gedichtet wurden, und wieder verloren gegangen sind, eins, welches begann:
Es ging (erging) sich unsre Fraue,
Kyrieleis,
Des Morgens in dem Thaue,
Alleluja!
Gelobt sei Maria!
Da gegegnete ihr ein Junge,
Kyrieleis!
Sein Bart war ihm entsprungen,
Alleluja!
Gelobt sei Maria! etc.
Die Sektenschaaren der Geißelfahrer mehrten sich so, daß fast jede Woche ein oder zwei gezogen kamen; sie sprachen, die Geißelfahrt solle zweiunddreißig Jahre währen, nach dem Alter des Heilands, aber sie währte nur ein halbes Jahr. Auch in Thüringen fanden sie großen Anhang, doch in Erfurt wurden sie nicht eingelassen, da sie angezogen kamen dreitausend Köpfe stark, und wandten sich nach Ilversgehofen. Bald kamen sie in übeln Ruf, wurden der Unzucht und anderer Laster, die im Gefolge des Wallfahrerlebens noch immer sind, beschuldigt, zumal zuletzt auch Weiber und Kinder mitliefen, die aber auch für sich Geißelfahrten anstellten, und da sie Wunder thun, Todte erwecken wollten, da sie den Gottesdienst störten, die Geistlichkeit verachteten, so that sie der Papst in den Bann, und verbot das anstößige und öffentliche Geißeln, es jedem freistellend, sich heimlich zu geißeln, so viel er wolle. Zuletzt wurden viele gehenkt, ehrlos gemacht, und verwiesen. Damals schrieb der Papst ein großes Jubeljahr aus, da verlief sich das müssige und liederliche Gesindlein, und wallte zum Theil nach Rom. Und die mit Geißeln gegangen, und die von Rom zurück kamen, waren schlimmer, als sie zuvor gewesen.
Und hernach, als das Sterben, die Judenschlächterei, Geißel- und Romfahrt ein Ende hatte, hub die Welt wieder an zu leben und fröhlich zu sein.
Quellen:
- Ludwig Bechstein - Der Sagenschatz und die Sagenkreise des Thüringerlandes, Meiningen und Hildburghausen, 1857, Verlag der Kesselringschen Hofbuchhandlung, Band III S. 68-77