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Der Kinder-Kreuzzug
In diesen Zeiten geschah es, daß unter die Kinder in ganz Deutschland, und namentlich in Thüringen, nicht minder auch unter die in Frankreich ein wunderbarer Trieb kam, das heilige Land zu erobern, das wieder in der Heiden Gewalt war. Und wollen Manche wissen, es habe ein unbekannter schöner Knabe die thüringischen Gaue durchzogen, überall die Knaben zum Mitzug aufgefordert und das Kreuzfahrerlied gesungen, daraus eine Strophe lautete:
Nu wallet hin geliche
Daz wir das Himmelriche
Erwerben sicherliche
Bei duldiglicher Zehr.
Gott will mit Heldes Handen
Dort rächen seinen Anden
Sieh Schaar von manigen Landen
Den heilig Geist hehr!
Alle Knaben strömten da zusammen, und die Aeltern vermochten sie nicht zurückzuhalten, sie rissen sich los aus den Vater- und Mutterarmen, entflohen ihrer Haft und schaarten sich unter die Oriflamme des unbekannten jugendlichen Führers. So zogen sie aus Deutschland, an der Zahl zwanzigtausend, und aus Frankreich dreißigtausend fort. Die deutsche Knabenschaar kam über die Schweiz und wanderte über die Alpen. Da kamen ihrer unzählige um in den unwegsamen Gebirgen, wurden unter Lavinen begraben, oder starben vor Frost und Hunger; die andern kamen auf der Meerfahrt um, von den vielen Tausenden, die fortgezogen, hat keiner je die Heimath wieder gesehen.
Quellen:
- Ludwig Bechstein - Der Sagenschatz und die Sagenkreise des Thüringerlandes, Meiningen und Hildburghausen, 1857, Verlag der Kesselringschen Hofbuchhandlung, Band III S. 54/55