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Thüringer Heerfahrt nach Schlesien
Als Ludwig der Heilige, ein Nachkomme Ludwigs des Milden, Landgraf in Thüringen war, ein Vater der Armen und ein Schützer der Bedrängten, trug sichs zu, daß eine Anzahl thüringische Kaufleute, welche durch Schlesien zogen, beraubt und widerrechtlich hart gefangen gehalten wurden. Das von kam zu Ludwig die Kunde, und er dachte Rache zu nehmen an dem Herzog von Polen, dem damals Schlesien eigen war. Er entbot ein großes Kriegsheer, das er in drei Haufen über die Saale ziehen ließ. Niemand wußte, wohin es gehen sollte; bei einem Dorfe an der Elbe stießen die Haufen zusammen und hatten ein großes Lager. Jetzt erst sagte Ludwig seinen Freunden und Rittern, daß er in das Land des Polenherzogs ziehen und das Schloß Luban erstürmen wolle, darüber sich Alle verwunderten. Auch ein Heer von Meißnern stieß zu den Thüringern und führte reichlichen Proviant herbei. jetzt las Ludwig dreitausendundvierhundert Ritter und reißige Knechte aus, die er voraussandte, und diese berannten das Schloß Luban und verbrannten die darunter liegende Stadt, bis der Landgraf mit dem hellen Haufen zu ihnen stieß. Alles Volk in jenem Lande erschrack, und auch der Polenherzog, der sich gar sehr verwunderte, daß ein thüringer Landgraf mit so großer Heeresmacht und aus so weiter Ferne her ihn überzog. Auch sandte er Friedensboten, die Ersatz des geraubten Gutes versprachen. Der Landgraf aber kehrte sich nicht daran, sondern ließ erwidern, warum der Herzog das nicht gleich gethan, da er friedlich darum angegangen worden? Jetzt solle der Heereszug nicht vergebens unternommen sein; er werde nicht von dannen ziehen, ehe er das Schloß gewonnen habe, oder mit Gewalt vertrieben werde. Darauf ließ der Herzog den Seinen auf dem Schlosse Muth einsprechen und dem Landgrafen sagen, er möge abziehen, oder am nächsten Montag werde der Herzog ihn mit Macht aus seinem Lande treiben.
Fröhlich empfing der Landgraf diese Botschaft aus dem Munde eines Bischofs und antwortete, er wolle noch acht Tage über jenen Montag harren. Und alsbald bestürmte er das Schloß mit allem Belagerungswerkzeug ohne Unterlaß Stunde auf Stunde mit frischen Mannen, bis er zum Thore kam, und die Besatzung sah, daß sie sich nicht länger halten konnte, und die Hauptleute um Frieden zu unterhandeln begannen, und sprachen, wenn der Polenherzog sie binnen acht Tagen nicht erlöse, wollten sie ohne Schwertschlag das feste Schloß übergeben; das war der Landgraf zufrieden, behielt aber die fünf Hauptleute, die mit ihm solches getheidingt, wohlbewacht als Geißeln in seinem Lager. Und als der zweite Montag kam, der Herzog aber nicht, empfing der Landgraf das Schloß, erlösete seine armen gefangenen Unterthanen und zog ohne Schaden mit den Seinen wieder heim nach Thüringen. So war Ludwig seinem Lande und Leuten hülfreich, wie er auch an dem Kramer und an den Mönchen zu Reinhardsbrunn bewiesen, um derentwillen er auch Heerfahrten unternahm.1)
Quellen:
- Ludwig Bechstein - Der Sagenschatz und die Sagenkreise des Thüringerlandes, Meiningen und Hildburghausen, 1857, Verlag der Kesselringschen Hofbuchhandlung