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Von großer Hungersnoth

Im Jahr 850 war in ganz Deutschland eine furchtbare Hungersnoth, besonders aber in den Rheingegenden, so daß viele Menschen vor Hunger und Elend umkamen. Dazumal ist es geschehen, daß ein Mann aus dem Gau Grabfeld, (Etliche schreiben aus Grabenfeld am Rhein) mit seinem Weib und einem Kindlein nach Thüringen zog, wo es noch etwas wohlfeiler war. Nun kamen sie in den großen Wald, wo sie weit und breit weder Obdach noch Nahrung fanden, und lagen matt und fast ohnmächtig an der Erde, und glaubten nicht wieder von dem Platze hinweg zu kommen. Da sprach der Mann in seiner Verzweiflung und in der grimmigen Pein des Hungers zu seinem Weibe: Laß uns das Kindlein schlachten, ehe es umkommt, und uns davon sättigen. Besser es stirbt eines, denn wir alle drei. Darauf schrie das arme Weib laut auf, und wollte den Mord ihres Kindes nicht zugeben, der Mann aber riß ihr, selbst unter Thränen, den Knaben aus den Armen, und eilte in das Gebüsch, damit die Mutter den Tod des Sohnes nicht sähe. Schon hob er dort den Arm auf und zückte das Schwert, als er auf einmal ein starkes Geräusch und Geträusch in den Büschen vernahm von Laub und Aesten, und da er hinsah, erblickte er zwei Wölfe, die eine Hindin zu Boden rissen und zerfleischten. Schnell ließ er den Knaben los, stürzte auf die Wölfe zu, verjagte sie, und nahm alsbald das Wild für sich als Beute mit. Laut lobten nun Mann und Weib den Helfer im Himmel, der ein Wunder an ihnen und dem Kinde gethan, und sättigten sich alle drei. Bald auch kamen sie zu guten Leuten in Thüringen, die sich ihrer hülfreich annahmen, und denen sie die wunderbare Begebenheit erzählten.

Quellen: