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Der wandelnde Mönch
Auf dem Markt zu Waltershausen, ohnweit der Kirche, liegt in das Pflaster eingesenkt ein großer platter Stein, der früher erhöht stand, und wohl ein Mahlstein aus alten Zeiten war, wie ein solcher auch zu Arnstadt steht. Denn die Stadt hatte freies Gericht und Weichbildsrecht, es war ein Gerichtsstuhl in Waltershausen, und in alten Zeiten wurde oft das Geding auf offenem Markt, an einem breiten Stein, oder unter den Rolandssaulen, wo solche waren, gehalten.
Nun wissen und erzählen noch viele Leute, daß vor alten Zeiten in jeder Nacht ein grauer Mönch geschritten kam, ging zu dem Stein, und dreimal um ihn herum, zog seine Kutte aus und legte sie auf den Stein, worauf er von dannen schritt; nach einer Weile kam das mönchische Gespenst zurück, zog die Kutte wieder an und ging von dannen, woher es gekommen war. Das trieb es lange Zeit so fort, bis einmal ein Thürmer, der oft dem Spuk zugesehen, sich ein Herz faßte, aufmerkte, wenn der wandelnde Mönch wiederkam und seine Kutte auszog.
Rasch war der Thürmer bei der Hand, wischte aus seinem Pförtlein heraus und trug das Gewand davon. Bald darauf kehrte der Mönch zurück, und da er sein Gewand nicht fand, stand er still, wie verwundert, ging dann hinweg und kam nimmermehr wieder. Das Gewand wurde in dem kleinen Archiv aufbewahrt, das im Thurm ist, und das man die eiserne Kammer nennt; dort ist es noch immer, ein wunderlich Gewebe, grau, und zart gefaltet. Ich habe es mit eignen Augen gesehen.
Quellen:
- Ludwig Bechstein - Der Sagenschatz und die Sagenkreise des Thüringerlandes, Meiningen und Hildburghausen, 1857, Verlag der Kesselringschen Hofbuchhandlung