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Weise Männer und Propheten - Hans Leinweber
In Ruhla und der Umgegend hat es von jeher allerlei Wundermänner und Propheten gegeben, des ren Andenken im Volke sagenhaft fortlebt, daher hier mit Recht ihrer gedacht wird. So lebte zur Zeit des dreißigjährigen Kriegs allda einer mit Namen Hans Leinweber, der wohnte in dem jetzt Wagnerischen Haus unter der Linde. Geister waren ihm zu Willen und dienstbar, einen hatte er in Gestalt einer Hummel in einem Loch über dem Fenster, einen andern hielt er in dem Heft einer Feile gebannt, und dieser regierte die Feile, daß es eine Lust war, den Meister und seine Gesellen arbeiten zu sehen. So hülfreich war dieses Geistes Einfluß, daß der Lehrjunge mehr förderte, als bei einem andern Meister zwei der stärksten Raspler. Streng verbot Hans Leinweber seinen Leuten, eine Feile auszukeilen; allein einst wagte in des Meisters Abwesenheit dennoch ein vorwitziger Lehrling, dem Verbot zuwider zu handeln, aber da empfing er bald von unsichtbaren Händen eine Ohrfeige um die andere, und plötzlich war der Meister da, der den erzürnten Geist wieder bannte.
Als die Soldaten in jener drangvollen Kriegszeit das friedliche Thal der Ruhl oft durchzogen und stets mit Mord und Plünderung bei der Hand waren, schreckte sie jener Mann oft durch magische furchtbare Erscheinungen ab und zurück; sie sahen Heere ergrimmter Feinde, hörten lauten Kanonendonner, oder erblickten hohe Felsen und tiefe Graben, die ihren Weg zu hemmen schienen. Es kam auch mit dem Krieg eine verderbliche Pest in den Ort, da soll man eine Stimme haben erschallen hören, ob vom Himmel oder sonst wo her: Grab' Bibernellen, grab' Bibernellen, Ist gut für schöne Junggesellen!
Endlich verbohrte Hans Leinweber die Pest in die Linde, die vor mehrern Jahren umgehauen worden ist.
Hans Leinweber war mitten in dem Gefecht, das in der Ruhl an einem Sonntag Nachmittag am neunten October 1636 zwischen den Einwohnern und den eingefallenen kaiserlichen Truppen vorfiel, die meist aus Croaten und Panduren bestanden. Der kaiserliche General, der sie anführte, war ein Fürst von Hessen - Homburg, und ein Steinbacher Schleifer, Namens Hermes Kuhnsgen, führte die Feinde über den sogenannten Reuter, einen Bergweg, in die Ruhl. Der feindliche Obrist war kugelfest, und Hans Leinweber war es auch. Er fing die Kugeln der Feinde und sogar die Freikugeln die der Obrist abschoß, in seinem Hute auf, und entkräftete des Fürsten Zaubermittel. Als Stophel Dittmar, auch Hetschel Stophel genannt, nach dem Fürsten geschossen hatte, und dessen Kugel von ihm abprallte, biß Hans Leinweber einen halben Schreckenberger mit den Zähnen zusammen, lud ihn in das Gewehr, murmelte einen Zaubersegen und schoß den Fürsten hinter dem Lennebergischen Brauhause vor dem Schlagbaume vom Pferde. Damals kamen sechsunddreißig Rühler um, und die gebliebenen Croaten spuken noch in verschiedenen Gestalten durch die Ruhl.
Hans Leinweber starb im hohen Alter. Bei seinem Begräbniß hat sich etwas sehr merkwürdiges ereignet, denn als die Chorschüler vor dem Hause üblicher Weise ihr Lied gesungen hatten, alle Leichenbegleiter versammelt waren, und die Träger den Sarg aufhoben, so sah Hans Leinweber im zweiten Stockwerk zum Fenster heraus, zu jedermanns Grauen und Verwunderung. Ein Hohnlächeln spielte um seinen Mund. Gleichwohl sezte sich der Zug in Bewegung nach dem Kirchhof; dort angekommen, wurde dem Gebrauch nach der Sargdeckel noch einmal abgehoben, und siehe der Sarg war voll Steine. Das endigte mit einem Mal alle Feierlichkeiten, man senkte natürlich den Sarg nicht ein, sondern seßte ihn über das sogenannte Kuhthor bei der Kirche, wo er über hundert Jahre gestanden hat und endlich stückweise herunter gefallen sein soll. Leinwebers Geist spukte lange und wurde endlich in seinen Keller gebannt und drinnen vermauert.
Quellen:
- Ludwig Bechstein - Der Sagenschatz und die Sagenkreise des Thüringerlandes, Meiningen und Hildburghausen, 1857, Verlag der Kesselringschen Hofbuchhandlung