<<< zurück | Sagen aus Thüringens Frühzeit, von Ohrdruf und dem Inselberge | weiter >>>
Das Ave Maria
Nahe bei Broterode liegt ein Berg, heißt das Ave Maria, nach andern Ave Marcus; vor Zeiten stand eine Kapelle darauf. Noch ist dort ein wunderlich ausgehöhlter Fels zu sehen, den sie die Kirche nennen, und ein anderer Fels dabei heißt die Kanzel. Dort läßt sich ein gespenstiger Schulmeister sehen, hat ein Gesicht wie Spinneweben, und predigt von jener Felsenkanzel herab, erschreckt die Leute und hat sein Wesen daselbst. Auch im Lautenbacher Thal nah dabei ist's nicht geheuer, hockt sich bei einem alten Holzapfelbaum den Wanderer auf und läßt sich ein gut Stück schleppen, ehe es wieder abfällt. Von Seligenthal kamen Leichenbegleiter, deren Weg nahe am Ave Maria vorbeiging, und war einer bei ihnen, der alte Johannes Eck geheißen; sie gehen von Kleinschmalkalden fort über den Berg im tiefen Schnee bei hellem schönen Mondschein, und wie sie sich umsehen, fehlt einer. Da rufen sie, warten, gehen ein Stück zurück, und da kommt der alte Eck, keucht und ist ganz von Schweiß durchnäßt, der erzählt, daß sich's auf ihn gelegt hatte, wie ein Schaf, und erst, wie die Freunde ihm entgegen gekommen, sei es von ihm gefallen.
Quellen:
- Ludwig Bechstein - Der Sagenschatz und die Sagenkreise des Thüringerlandes, Meiningen und Hildburghausen, 1857, Verlag der Kesselringschen Hofbuchhandlung