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Die Flitterbraut
In dem alten Gemeindewirthshaus zu Broterode zeigte sich gar oft den Wirthsleuten ein Geist in Gestalt einer Flitterbraut1) im Keller, während eine Brautjungfer (Züchterin) sich in der Küche sehen ließ. Ein Mann erblickte oft die Letztere, wie sie hastig nach etwas zu greifen schien, er rief sie scheltend an, ohne daß sie auf ihn hörte und sich an ihn kehrte; endlich hatte er Acht auf die Stelle, wohin die Erscheinung immer griff, und da sah er aus einem Balken einige Fädchen heraushängen. Neugierig zupfte er an diesen Fädchen und zog nun aus dem morschen Balken ein uraltes Beutelchen von Leinwand, darein einige verschimmelte Silbergroschen gewickelt waren. Von der Zeit sah man die Züchterin nicht mehr. Aber nach wie vor erschien im Keller die Flitterbraut zu jeder Stunde des Tages, wie der Nacht, ging an den Wirthsleuten vorüber, wenn diese im Keller zu thun hatten, und fügte ihnen keinerlei Schaden zu, als daß sie etwa manchmal das Licht ausblies. Obgleich sich die Wirthsleute an die Erscheinung und den Anblick dieses Hausgeistes gewöhnt hatten, so wagte doch niemand, ihn anzureden, weil unter den Einwohnern der Glaube herrschte, daß das Erscheinen eines Geistes eben sowohl Glück als Unglück bringen und bedeuten könne, daß es aber eine, gewissen Schaden nach sich ziehende Vermessenheit sei, einen Geist etwas zu fragen oder ihn überhaupt anzureden. Jene Wirthsleute kamen in ihrem Geschäft zurück, starben und verdarben, und der Gasthof wurde anderweit verpachtet. Der neue Wirth war ein sehr thätiger und freundlicher Mann, der viel Einkehr bekam, er hatte auch eine rührige Frau und eine schöne Tochter. Eines Abends kam noch spät ein Fremder, und die Tochter ging hinunter in den Keller, ihm einen frischen Trunk zu holen. Da erschien ihr die Flitterbraut und näherte sich ihr freundlich. Die Wirthstochter dachte nichts Arges, sondern glaubte, es sei eine ihrer Freundinnen, die an diesem Tage Hochzeit gemacht hatte und fragte: Was machst Du da? Darauf sprach die Erscheinung: Wisse, daß ich ein seit vielen hundert Jahren an diesen Ort gebannter Geist bin und einen großen Schatz bewache, den Du heben sollst und geschwind von seiner Stelle rücken mußt, denn wenn die Glocke die Mitternachtstunde anschlägt und es ist nicht gethan, so blei-be ich ewig unerlöst. Darum habe ich die Züge Deiner Freundin angenommen, damit Du mich fragen solltest, denn ungefragt war mir nicht vergönnt, zu Dir zu reden. Eile und hebe den Schatz, der dort an jener Stelle ruht.
Mehr tod als lebendig eilte die Wirthstocher hinauf und sagte ihren Aeltern alles an, was sie gesehen und gehört; darauf ist gleich ihr Vater, (einige sagen, ihre Mutter) mit Hacke und Schaufel in den Keller gegangen und hat im Beisein der Tochter an der von dem Geist bezeichneten Stelle eingeschlagen, worauf bald ein mit Goldstücken gefüllter Kessel zum Vorschein kam. Der Wirth wurde dadurch zum reichen Mann, Segen war bei dem Golde, und der Geist war erlöst; noch sind des Wirthes Nachkommen grundreiche Leute. Aber die Tochter des Wirths fing von jener Zeit an zu siechen und zu kränkeln, zitterte stets am ganzen Leib und starb nicht lange hernach. Es geht im Volk die Rede, daß immer eines oder zwei von denen, die bei Hebung eines Schatzes zugegen sind, bald darauf sterben.
Quellen:
- Ludwig Bechstein - Der Sagenschatz und die Sagenkreise des Thüringerlandes, Meiningen und Hildburghausen, 1857, Verlag der Kesselringschen Hofbuchhandlung, Band II S. 97-100