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Der Venetianer
Sehr häufig hört man noch erzählen, daß in den frühern Zeiten fremde Männer das Gebirge durchzogen haben, die bald da, bald dort in den Höhlen im Inselberg graben, an der Schönleite, am Bärenbruch, im ungeheuern Grund und anderwärts haußten, die nennt das Volk Erzmännerchen, Venetianerchen. Sie gruben Gold und Silber, und wuschen auch aus den Waldbächen diese Metalle heraus. Einstmals hielt sich ein solcher lange in dem Thal der Laucha auf, die nach Kabarz und Tabarz fließt, der wußte, wie wahr das alte Sprichwort sei, daß mancher Hirt am Inselberg einen Stein nach der Kuh werfe, der mehr werth sei, als die Kuh selbst. Dieser Venetianer schöpfte aus der Laucha vielen Sand und sammelte viele Steine, dabei diente ihm ein junger Bursche als Führer in den Waldwegen und zu den schwer zugänglichen Gebirgsschluchten und Klippen, bis der Sommer vorbei war, und der Venetianer hinweg kam, Niemand wußte, wohin. Nun trug sich's zu, daß jener Bursche aus Kabarz, wie viele seines Gleichen, ein Straßenfuhrmann wurde, der weit in der Welt herum kam, und auch einstmals in die reiche Handelsstadt Venedig. Wie er dort an einem prächtigen Laden, der von Gold und Silberwaaren und edeln geschliffenen Steinen glänzte, mit offenem Maule stand, weil er solchen Glast noch nie gesehen, erblickte ihn der reiche Kaufherr und redete ihn freundlich in deutscher Sprache an. Das war aber eben kein anderer, als der Venetianer, mit dem der Bursche bergauf und thalab durch das thüringische Gebirge gestiegen war. Der reiche Mann zeigte nun dem Erstaunten seine großen Schätze und sagte zu ihm: Siehe, dieß alles danke ich Deinem Vaterland; die Steine, die hier glänzen, wachsen dort, das Gold und Silber, das du hier siehst, fand ich dort. Und reich beschenkt entließ er den armen Thüringer Landsmann.
Quellen:
- Ludwig Bechstein - Der Sagenschatz und die Sagenkreise des Thüringerlandes, Meiningen und Hildburghausen, 1857, Verlag der Kesselringschen Hofbuchhandlung,Band II S. 89-90