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Die weiße Frau
Eine Magd vom Pachthofe zu Watzdorf hatte auf dem sogenannten Gottesacker des alten Schlosses Gras mit der Sichel gemäht. Da wurde es ihr sehr heiß und sie wartete schmerzlich auf das Mittagsessen und einen kühlen Trunk. Als sie vor Ermattung nicht mehr arbeiten konnte, steckte sie ihren Rechen in die Erde, hing ihre Schürze darüber und legte sich in den Schatten, welchen diese warf. Da erschien ihr eine weiße Frau mit blassem Gesicht und langen gelben Haaren und winkte ihr freundlich. Aber der Magd zitterten und bebten alle Glieder vor Furcht, sie wandte sich weg und bedeckte ihr Gesicht mit beiden Händen. Als ihr nun eine andere Magd das Mittagsbrod brachte, war nichts mehr von der weißen Frau zu sehen, und jene schämte sich jetzt ihrer Verzagtheit. Wer weiß, welch einen herrlichen Trunk Weines sie erhalten hätte, oder was sonst für ein Schatz ihr bescheert war.
Quelle:
- Ludwig Bechstein - Thüringer Sagenbuch, Wien und Leipzig, C. A. Hartlebens Verlags-Expedition, 1858