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Das verzauberte Ritterfräulein im Singerberge

  Mündlich

In dem Singerberge wohnt ein verzaubertes Ritterfräulein oder eine Prinzessin von schöner Gestalt mit lang herabwallendem Haar, im weißen Gewande, und, wenn sie sich zeigt, mit betrübter, flehender Miene. Sie wartet ihrer Erlösungsstunde und sucht Sterbliche mit ihren Schätzen zu beglücken. Auf der Platte des Singerberges hat sie ein großes Leinentuch ausgebreitet und dörrt Flachsknotten, die im Sonnenschein knistern.

Einst kamen Musikanten von Singen aus einem benachbarten Dorfe, wo sie zum Tanz aufgespielt hatten. Sie sahen die Prinzessin bei ihren Flachsknotten stehen; sie winkte ihnen freundlich zu, ihre Taschen mit den Knotten zu füllen, aber die Spielleute wagten aus Furcht nicht näher zu treten. Nur einer war so kühn und schritt mit seinen Schuhen durch die Knotten über das ausgebreitete Tuch hin. Als sie den Berg nun wieder herabgehen, klagt dieser, daß harte Körner in seinen Schuhen ihn drücken und das Gehen erschweren. Er zieht deshalb die Schuhe aus, die Sache näher zu untersuchen, und findet, daß Flachsknotten, die ihm zufällig in die Schuhe gekommen waren, in Goldkörner sich verwandelt haben. Sofort laufen die Andern zur Stelle zurück, um sich die Taschen mit den köstlichen Knotten zu füllen. Allein weder die Prinzessin noch die Flachsknotten waren zu sehen; kleine, verwitterte Steine lagen da, wo sie die Erscheinung gehabt hatten.

Quellen: