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Der Schatz im Reinsberge
Thuringia 1843. S. 15. Mündlich.
Am westlichen Abhange des Reinsberges hütete im Sommer ein Schäfer des herrschaftlichen Gutes zu Plaue seine Heerde. Dabei war es seine Lieblingsbeschäftigung nützliche Kräuter und Pflanzen zu suchen, um davon für Menschen und Vieh heilsamen Gebrauch zu machen. Eines Tages kam ihm eine noch nie gesehene schöne Blume vor Augen, die er ihrer Seltenheit wegen sogleich abpflückte und seinen Hut damit schmückte. Langsam trieb er seine Heerde den Berg hinan und gewahrte auf einmal eine schmale Kluft, die in den Berg hineinführte. Er drängt sich zwischen diese Kluft, bald aber findet er einen bequemen Weg und gelangt in ein hell erleuchtetes Gewölbe, worin unermessliche Schätze und Kostbarkeiten aufgehäuft waren, von denen seine Augen fast geblendet werden. Als er sich in dem Gewölbe noch weiter umschaut, erblickt er in einem Winkel eine weisse Frau, welche ihm in aller Weise andeutet von den vorhandenen Schätzen zu nehmen, was ihm beliebe und so viel er tragen könne. Mit Ehrfurcht nimmt er seinen Hut vor der weissen Frau ab und schickt sich an in stummer Beklemmenheit von den Schätzen aufzuraffen. Die weisse Frau erinnert ihn dabei, dass er ja nicht das Beste vergessen solle. Er nahm, was ihm das Beste schien. Die Frau wiederholt ihre Warnung; noch einmal durchmustert er sorgfältig die Schätze, nimmt noch so viel als er tragen kann, und will nun wohl belastet den Rückweg antreten. Da tritt ihm die weisse Frau in den Weg und ruft ihm fast ängstlich ihre Warnung zum dritten Male zu, aber der Schäfer meint das Beste gewählt und genommen zu haben und geht aus dem Gewölbe hinaus. Kaum ist er ins Freie getreten, so schliesst sich hinter ihm krachend die Kluft und jetzt erst fällt ihm ein, dass er seinen mit der seltenen Blume geschmückten Hut zurückgelassen hat. Andere erzählen, der Schäfer habe bei seiner Ehrlichkeit nichts von den Schätzen berührt, sondern gedenkend der Fallstricke des Satans sich eiligst auf den Rückweg gemacht. Als er aber in der freien Natur wieder freier aufathmend seinen Hut abnahm, denn der Angstschweiss rann ihm von der Stirne, sah er die seltene Blume nicht mehr daran, und als er sich umblickte, war auch die Grotte verschwunden.
Die Schätze des Berges wären sein gewesen, wenn er muthig zugegriffen hätte. Erst nach hundert Jahren wird die Blume wieder blühen und ein Glücklicher wird sie pflücken. Sie ist der Schlüssel zu den verborgenen Schätzen, die nur ein frommer, unschuldiger Mensch heben kann.
Quellen:
- Dr. August Witzschel: Sagen aus Thüringen. Meersburg und Leipzig 1930