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Der lahme Fleischbote von der Brandenburg und der Limpertstein in Gerstungen

  Heusinger Sagen aus dem Werrathale. Eisenach 1841. S. 14.

Der Graf von der Brandenburg hatte das Recht, dass er den Fleischern zu Gerstungen die Taxe sette1) und zugleich an jedem Fleischtage einige der besten Stücke für seine Küche bekam. Der Bote, welcher deshalb jedesmal von der Brandenburg geschickt wurde, hiess Limpert, war ein lahmer Krüppel, der auf einem Esel ritt, an dessen beiden Seiten zwei Körbe für das Fleisch hingen. Er traf aber immer zu spät ein, und doch durfte nach altem Rechte die Fleischbank nichts eher abgeben und verkaufen, bis er versorgt war. Dieses Unwesen war der Bürgerschaft, besonders aber der Fleischerzunft gar verdriesslich, ja endlich unerträglich geworden. Oft schon hatte man den Boten erinnert, nicht so lange auf sich warten zu lassen, aber derselbe, eben so frech und trozig wie ungestaltet und krüppelhaft, kehrte sich an kein gutes Wort und pochte auf das Recht und die Macht seines Herrn.

Der Gildemeister der Fleischer war ein zorniger und stolzer Mann. Dieser sprach zu seinen Mitmeistern: „wir wollen den Unfug nicht länger dulden, sondern thun, was nicht sobald vergessen werden soll.“ Als nun der lahme Bote wieder daher gezogen kam und man ihn nach Gewohnheit vom Esel gehoben hatte und er das Fleisch für seinen Herrn erwartete, gab ihm der Gildemeister den ersten Schlag, dann traten auch die übrigen Meister herzu und schlugen ihn vollends todt, hackten den Leichnam in Stücke und legten sie dem Esel in die Körbe. Darauf drehte man diesen um, gab ihm einen Streich und liess ihn gehen. Als nun der Graf statt des Fleisches den Boten selbst zu Schlachtstücken zerhauen in den Körben fand, schwur er der Stadt Gerstungen bittere Rache und kündete ihr Fehde an. Da schickte der Rath einen Mittelsmann, der mit klugen und sanften Worten den erzürnten Grafen besänftigen sollte. Dieser stellte vor, die Fleischerzunft sei schon lange durch die absichtliche Verspätung und das trotzige Benehmen des Boten erbittert worden und man müsste ja die ganze Zunft ausrotten, wenn Blut um Blut gelten sollte. Er möchte daher von der Fehde abstehen und gnädig bedenken, dass so viele Häuser verwaist würden und die halbe Stadt Trauerkleider anlegen müsste. Man sei gern bereit eine ansehnliche Buße zu geben.

Da sprach der Graf bei sich selbst: „nun gut, ich will eine Sühne fordern, wie sie solche nimmer erbringen können,“ dem Gesandten aber sagte er: „stehet das Blut eurer Fleischhacker in so hohem Preise, so schafft mir einen Scheffel Silberlinge von eines Pfennigs Werth, drei himmelblaue Windhunde und drei Eichenstöcke ohne Knoten, so hoch als ich selbst. Schaffet ihr mir binnen heute und fünf Jahren diese drei Stücke, so ist die Sache vertragen und sogleich gebe ich alle meine Rechte an eure Fleischbank auf, denn was aus den Händen der Bluthunde kommt, das ekelt mich an. Fehlt es aber zu jener Zeit auch nur an einem von den dreien, so überliefert mir die Stadt die ganze Rotte, Mann für Mann, und ich werde mit ihnen thun nach meinem Gefallen.„

Mit diesem Bescheide kehrte der Abgeordnete zurück. Alle, die ihn hörten, entsetzten sich; denn wo war eine solche Menge kleiner Silberlinge zu finden? Wo gab es himmelblaue Windhunde und manneshohe Eichenstöcke ohne Knoten? Doch zuletzt fassten einige Bürger Muth und meinten Zeit gewonnen, viel gewonnen, und man könnte die Sache wenigstens versuchen.

Von Stund an ward ein Bote ausgesandt, der in allen Landen bei Juden und Krämern die Silberlinge sammelte. Dann wählte man ein Schock kräftiger Eichensprösslinge, welche eben den ersten Trieb aus der Erde gemacht hatten. Diese wurden behutsam ausgehoben und in einem Garten in ein besonders dazu bereitetes Erdreich gepflanzt; dann umgab man sie mit hohen, genau anschliessenden Glasröhren, dass Seitensprossen ganz unmöglich wurden und das junge kraftvolle Reis kerzengerade empor wachsen musste. Auch hatte man ein Gemach eingerichtet, dessen Wände, Decke und Fussboden himmelblau waren; selbst die Fenster waren mit himmelblauen Zeugen verhängt. In dieses Gemach brachte man drei schneeweisse junge Windhunde, und damit sie nichts sähen als Himmelblau, so war auch der Wärter in diese Farbe gekleidet und Wasser und Futter waren ebenfalls himmelblau. Die ersten Jungen, welche die beiden Hündinnen warfen, hatten wirklich einzelne blaue Sprenkelchen; unter den Jungen, die in den folgenden Jahren wieder von diesen fielen, gab es schon blau gefleckte, bei der dritten Zucht war himmelblau die Hauptfarbe und unter dem vierten Geschlecht waren gegen das Ende des fünften Jahres wirklich drei Hunde aufgewachsen, welche über und über himmelblau waren.

Mit den Eichstäben ging es auf ähnliche Weise. Mehrere Stämmchen waren zwar abgestorben, einige hatten doch Seitenaugen getrieben, drei Schösslinge standen aber in Mannshöhe kerzengerade und ohne Knoten da, dass es eine Lust war sie anzuschauen. Auch der Bote hatte die aufgestöberten Silberlinge eingeliefert und als seine Ausbeute gemessen und das Streichbrett darüber gezogen wurde, da wäre fast ein Silberling heruntergefallen. So wurde nun der Frevel dem erzürnten Grafen abgebüsst. Um den Himmel zu versöhnen, ward der Fleischscharren in ein Pflegehaus für arme Krüppel verwandelt, von dem noch jetzt einige Grundstücke die Siechengärten heissen, und auf dem Platz, wo die blutige That begangen war, wurde ein breiter Stein ins Pflaster eingelegt, der noch heutigen Tages der Limpertstein heisst.

Quellen:


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