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Die Jungfrau mit dem Zopf

  Büsching wöchentliche Nachrichten II, 382 
  nach mündlicher Sage

In Wälschland lebte im 11. Jahrhundert ein wackerer und reicher Ritter. Er war Graf und hiess Poppo. Seine Schönheit und seine Tapferkeit erwarben ihm nach dem Tode seiner ersten Gemahlin die Liebe einer reichen wälschen Gräfin, welche eine heftige Leidenschaft zu ihm gefasst hatte. Auch Poppo war dieser Gräfin nicht abhold, doch lebte noch zu frisch und lebendig in seinem Herzen das Bild seiner jüngst verstorbenen Gemahlin, als dass es schon jetzt durch eine andere schöne Frau hätte daraus verdrängt werden können. Weil ihn aber unaufhörlich die Liebe der schönen Gräfin verfolgte und in seinem gerechten Leid und Grame ungern störte, so beschloss er Wälschland mit seinen beiden Söhnen zu verlassen und im deutschen Lande sich irgendwo niederzulassen und anzubauen. Er verkaufte alsbald seine Güter und durchzog nun mit seinen Reichthümern einen grossen Theil des deutschen Landes. Kein Plätzchen gefiel ihm Anfangs und schien ihm zum Bau einer Burg geeignet zu sein; erst als er an die Stätte kam, darauf die Ruine Henneberg liegt, gefiel ihm die Gegend und vergnügt lächelte er über den Berg, den er gefunden hatte und mit einer stattlichen Burg bebauen wollte. Als er so dastand und dem künftigen Bau nachdachte, flogen drei Hennen aus einem Busche vor ihm auf und sogleich nannte er den Berg „Hennenberg“, davon auch die Burg ihren Namen erhalten hat.

Während der Graf Poppo seine Burg erbaute und rings herum vieles Land dazu kaufte, wurde daheim die verlassene wälsche Gräfin von Schmerz und Liebe gar sehr gequält. Zulegt macht sie sich mit ihren Schätzen und Reichthümern auf nach Deutschland und will den Geliebten suchen. Lange zieht sie vergeblich in den deutschen Landen umher; endlich kommt sie dem Geliebten auf die Spur, schon zieht sie mit ihren Maulthieren am Ufer der Schleusse hin, just da, wo dieselbe mit der Werra zusammenfliesst, als ringsum trauriger Klang von Sterbegeläut ihr dumpf zu Ohren dringt. Traurige Ahnungen steigen in. ihrem Herzen auf und sie kann sich der Thränen nimmer enthalten und als sie einen vorüberziehenden Wanderer um den Grund des Trauergeläutes fragt und die Antwort erhält: „Graf Poppo von Henneberg ist todt !„ da ist sie ihres Schmerzes nicht mehr mächtig, zerrauft sich die Haare, reisst in wilder Verzweiflung einen ihrer langen Zöpfe aus und wirft ihn in die Schleusse.

Als sie wieder ruhiger geworden war, beschliesst sie im Lande des Geliebten zu sterben und ihre Reichthümer zum Wohle seiner hinterlassenen Landeskinder zu verwenden. Von ihren wohlthätigen Spenden zeugen noch die Mauern und Thürme der Stadt Themar und die Brücken über die Werra bei Themar und bei Einhausen über die Werra und Hasel. Um diese Gräfin nach ihrem Tode zu ehren, schmückte Gottwald, Poppo's zweiter Sohn und Nachfolger, sein Wappen mit einem neuen Helmzeichen, einer gekrönten Jungfrau mit einem starken und langen Haarzopf. „Jungfer mit einem Zopfe“ heisst noch jetzt unter den Bewohnern jener Gegend der Helmschmuck des Wappens, welches sich am Gebäude des ehemaligen, von Gottwald gestifteten Prämonstratenser Mönchs- und Nonnenklosters zu Veßra- an der Schleusse und an den genannten Thürmen und Brücken befindet.

Quellen: