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Graf Hubert von Kalw
Vor vielen Hundert Jahren war zu Kalw ein Graf, der besaß großen Reichtum und lebte herrlich und in Freuden, bis er eines Tags zu seiner Gemahlin sagte: »Soll ich nicht ganz und gar verloren gehen, so muss ich auch lernen, wie es sein möge, wenn einer arm ist.«
Deshalb legte er ein schlechtes Kleid an, nahm Abschied von seiner Gemahlin und wandte sich gegen die Schweiz. Hier wurde er in dem Dorf Deißlingen Kuhhirt und hütete die ihm anvertraute Herde mit allem Fleiß auf einem Berg. Obwohl das Vieh gedieh und fett ward, wurde er doch von den Bauern nach einigen Jahren seiner Dienste entlassen, weil es sie verdross, dass er beständig auf dem nämlichen Berg weidete. Hierauf ging er zurück nach Kalw, wo seine Gemahlin eben mit einem anderen Hochzeit hielt, und erbat sich als Pilger in seinem eigenen Schloss ein Almosen. Als man ihm nun ein Stück Brot brachte, wollte er es nicht nehmen, es sei denn, dass ihm auch der Becher der Gräfin voll Wein dazu gereicht würde. Nachdem er den Becher empfangen und ausgetrunken hatte, ließ er seinen goldenen Trauring darein fallen und kehrte stillschweigend in das vorige Dorf zurück. Hier vertrauten ihm die Bauern ihr Vieh aufs Neue an, weil sein Nachfolger dieses Amt indessen sehr schlecht versehen hatte, und behielten ihn als Hirten, solange er lebte.
Als der Graf aber sein Ende herannahen fühlte, eröffnete er den Leuten, wer er sei, und verlangte, sie sollten ihn nach seinem Tod von Ochsen hinausführen lassen und wo diese anhalten würden, begraben, auch daselbst eine Kirche bauen. So geschah es danach denn auch und die Kirche über dem Grab wurde nach seinem Namen Obert oder Hupert, die Sankt Hupertskirche genannt. Dahin wurden später Wallfahrten angestellt und zu seinem Gedenken Messen gehalten, und darf ein jeder Bürger von Kalw, der dort vorbeigeht, an die Tür anklopfen oder sich um etwas anmelden.
Quelle: Deutsche Sagen, Sitten und Gebräuche aus Schwaben, gesammelt von Dr. Ernst Meier, Stuttgart, Verlag der J. B. Metzler'schen Buchhandlung, 1852