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Der Geist im Kaiser zu Rottenburg
Eine mündliche Überlieferung aus Rottenburg am Neckar
In Rottenburg steht am Markt das Wirtshaus Zum Kaiser. Darin befindet sich eine alte Kapelle, in welcher alljährlich einmal und zwar am ersten Sonntag nach dem September Gottesdienst gehalten werden muss. Unterbleibt der, so lärmen und poltern die Geister darin so furchtbar, dass man es nicht aushalten kann. Als der frühere Besitzer das Haus verkaufte, empfahl er dem neuen Besitzer dringend an, doch ja die jährliche Abhaltung des Gottesdienstes nicht zu versäumen. Das tat er denn auch nicht und behielt die Sitte bei, und so blieb alles ruhig.
Vor einigen Jahren aber ließ er die hölzerne Treppe, die von Außen in die Hauskapelle führte, durch eine steinerne ersetzen. Obwohl er die Maurer beständig antrieb, so war es doch nicht möglich, bis zu dem bestimmten Tag damit fertig zu werden. Deshalb musste auch der Gottesdienst zum ersten Mal unterbleiben. Acht Tage vergingen, ohne dass man etwas hörte. Als aber auch am zweiten Sonntag der Gottesdienst nicht abgehalten wurde, da brach nachts ein entsetzliches Gerumpel und Gerassel los. Es war, als ob beständig schwere Ketten vom Dach herabgelassen würden. Die Pferde im Stall zitterten, schnaubten und schwitzten. Der Knecht war in Todesängsten und bat um Gotteswillen seine Herrschaft, den Geist durch Abhalten des Gottesdienstes zu beschwichtigen. Das geschah denn auch sofort, und seitdem ist es wieder still geworden.
Frühere Hausbewohner wollen gesehen haben, dass ein langer Mann und eine Frau im Kaiser umgehen. Man hat oft bei Nacht im Schlafzimmer gehört, wie sie laut herumtappten und mit den Pantoffeln am Boden schlürften. Auch im Kamin hörte man sie zuweilen herunterrutschen. Ferner sagt man, dass Schätze in dem Haus vergraben seien. Darauf bezieht sich auch wohl die Bemerkung in mehreren alten Kaufbriefen, dass alle Schätze, die man im Kaiser finde, dem jedesmaligen Hausherrn gehören sollten.
Quelle: Deutsche Sagen, Sitten und Gebräuche aus Schwaben, gesammelt von Dr. Ernst Meier, Stuttgart, Verlag der J. B. Metzler'schen Buchhandlung, 1852