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Wegwart 1.Sage
Eine mündliche Überlieferung aus Pfullingen und Derendingen
Die Wurzel einer weißblühenden Wegwart (wilde Eichorie) hat die Kraft, Dornen, abgebrochene Nadeln oder was sonst in der Haut stecken mag, herauszutreiben. Sie ist aber sehr selten, denn die gewöhnliche blüht blau. Findet man nun aber eine weißblühende, so muss man sie sogleich anbinden, »sonst geht sie durch« und ist am anderen Morgen verschwunden. Sodann muss sie am Jakobifeiertag (am 25. Juli), vormittags zwischen 11 und 12 Uhr unbeschrien mit einem Goldstück abgeschnitten werden. Genießt man dann nur ein paar kleine Stückchen davon, so wird ein Dorn oder dergleichen sogleich ausgestoßen.
In Pfullingen versteht eine alte Frau das Abschneiden dieser Wurzel und besorgt es, so oft man eine findet. Wer so glücklich ist, steckt auf der Stelle einen Stock dabei, bindet sie daran und meldet die Stelle dann der Frau. An dem bestimmten Tag schneidet sodann jemand mit einem Messer die Wurzel fast ab, und die Frau löst sie mit einem Goldstück vollends los. Während dieses Aktes gehen andere in die Umgegend und warnen die Menschen, jene Frau doch nicht anzureden und die Wirksamkeit der Wurzel nicht zu stören.
Quelle: Deutsche Sagen, Sitten und Gebräuche aus Schwaben, gesammelt von Dr. Ernst Meier, Stuttgart, Verlag der J. B. Metzler'schen Buchhandlung, 1852