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Die weißen Fräulein in Walddorf

  Eine mündliche Überlieferung aus Walddorf

In dem Flecken Walddorf, der zwischen Tübingen und Nürtingen liegt, erschienen eines Winters in einem Haus zwei kleine weiße Fräulein. Diese besuchten die »Lichtkarz« (Spinnstube) und spannen mit den übrigen Mädchen um die Wette, setzten sich aber immer in die Ecke auf eine kleine Bank, redeten nicht ein einziges Wort und verließen regelmäßig die Spinnstube mit dem Schlag zehn Uhr. Man nannte sie auch »Erdweible« und sagt, sie seien eigentlich aus dem Unterland, vom Heuchelberg hergekommen und hätten nachts für die Menschen gearbeitet, namentlich immer das Brot gebacken.

In die Spinnstube kam zuweilen nur ein Fräulein allein, dann wieder beide miteinander, und das ging so fort bis gegen den Frühling hin. Da waren einmal eines Abends beide Fräulein wieder beisammen da und spannen, als man plötzlich vor der Tür eine unbekannte Stimme hörte, welche rief: »O weh, o weh, der Heuchelberg brennt!«

Da antwortete das eine Fräulein: »O weh, o weh, meine armen Kinder!«

Und wie der Wind waren sie fort und sind seitdem nie wieder gekommen.

Quelle: Deutsche Sagen, Sitten und Gebräuche aus Schwaben, gesammelt von Dr. Ernst Meier, Stuttgart, Verlag der J. B. Metzler'schen Buchhandlung, 1852