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Die Urschel und die Bergfräulein

  Eine mündliche Überlieferung aus Reutlingen

Auf dem Urschelberg bei Pfullingen stand ehedem ein Schloss, das jetzt versunken ist. Darin lebt aber noch immer die alte Urschel mit mehreren »Bergfräulein«. Sie trägt eine altertümliche Haube auf dem Kopf und hat um den Leib herum eine goldene Kette, an der ein Schlüsselbund hängt.

Sie besuchte früher mit ihren Bergfräulein oftmals die benachbarten Dörfer, besonders Pfullingen, und ging in die »Karz«, d. i. in die Spinnstube und unterhielt sich hier mit den Leuten, spann auch wohl selbst zuweilen. Erlaubte sich aber jemand etwas Unanständiges oder schnitt ein Bursche ihr oder einem der Fräulein den Faden ab, so ging sie sogleich mit ihren Begleiterinnen fort und kam in ein solches Haus nie wieder, was man für ein großes Unglück hielt, denn ihr Besuch brachte Segen.

Auch nach Reutlingen kamen diese Bergfräulein zuweilen auf einem unterirdischen Gang und stiegen gewöhnlich mitten auf dem Markt aus der Erde hervor, ohne dass man die geringste Spur am Boden erblicken konnte. Sie gingen dann ebenfalls in die Spinnstuben, spannen und unterhielten sich.

Quelle: Deutsche Sagen, Sitten und Gebräuche aus Schwaben, gesammelt von Dr. Ernst Meier, Stuttgart, Verlag der J. B. Metzler'schen Buchhandlung, 1852