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Das Opfer für die alte Urschel
Eine mündliche Überlieferung aus Pfullingen
Ein Vorsprung des Urschelberges bei Pfullingen wird das »Hörnle« genannt, über welches der Weg auf den eigentlichen Urschelberg führt. Wenn die Pfullinger Kinder diesen Berg besteigen wollen, um Holz zu suchen, so kommen sie in der Nähe der Frauenhalder Weinberge an einem Stein vorüber, der heißt der »Remselesstein«, weil hier jedes Kind zwei bis drei durchlöcherte Hornknöpfe (Remsele genannt) als »ein Opfer für die alte Urschel« hinlegt. Bei der Rückkehr sieht man alsdann nach, ob die Knöpfe noch daliegen. Wenn die Urschel sie auch nicht wegnimmt, so hat sie doch indes danach gesehen und sich darüber gefreut. Ganz nahe bei diesem Stein ist eine Wasserquelle.
Ehe die Kinder von dem Remselesstein an weiter hinaufsteigen, suchen sie erst noch einen hübschen Stein, auf welchen die Sonne, wie sie glauben, etwas eingebrannt hat, nämlich ihr eigenes Bild, eine »Sonne« oder ein rundes, regelmäßiges Loch, durch welches man hindurchsehen kann. Ein solcher Stein wird dann eine Strecke weiter oben bei dem sogenannten »Hämmerle«, einem durchbrochenen Felsen, durch welchen der Weg führt, rechts, an einer steilen Stelle hinabgeworfen. Dann sieht man genau zu, wie weit die Steine hinabrollen, und wer den seinen am weitesten laufen sieht, der sagt ganz vergnügt: »Die Urschel hat mein Opfer am liebsten angenommen.«
Die alte Urschel hat vor vielen Jahren einen Bauer, der Laub geholt hatte, mit Wagen und Ochsen an eben dieser Stelle hinabgeworfen. Indes ist ihm und seinem Gespann wunderbarerweise nichts geschehen. Nur das Laub war verstreut, sodass er es frisch wieder aufladen musste.
Etwa siebzig Schritte unterhalb des »Hämmerle« befand sich sonst hart am Wege ein tiefes, unergründliches Loch, woselbst die Urschel den Eingang zu ihrem unterirdischen Schloss hatte. Man hat aber vor noch nicht langer Zeit einen Stein darauf gewälzt und Erde darüber geworfen. Doch ist die Stelle noch immer kenntlich.
Quelle: Deutsche Sagen, Sitten und Gebräuche aus Schwaben, gesammelt von Dr. Ernst Meier, Stuttgart, Verlag der J. B. Metzler'schen Buchhandlung, 1852