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Georg Emmerich und das heilige Grab zu Görlitz
Mündlich. Görlitzer Annalen von Häßner, Funke, Meister, Haß u. A. Beschreibung der löblichen und ritterlichen Reise und Heerfart in das Land nach Jerusalem u. j. w. Albrechts, Herzogen zu Sachsen u. 1. w. durch Hans von Morgenthal, so mit dabei geweßen. Leipzig 1588 8. Laus. Mag. 1834, 91. Beschreibung des Heiligen Grabes, Görlitz 1779.
An der nordwestlichen Seite von Görlitz, da wo die Straße nach Nisky führt, befindet sich eines der merkwürdigsten Denkmäler mittelalterlicher Frömmigkeit, die berühmte und in der That in ihrer Art einzige Nachbildung des heiligen Grabes zu Jerusalem im verkleinerten Maßstabe. Mit der Gründung dieses heiligen Grabes hat es folgende Bewandtniß.
Im 15. Jahrhunderte lebte zu Görlitz Herr George Emmerich, der Sprosse einer reichen und vornehmen Patricierfamilie. In seines Vatershause, welcher Bürgermeister der damals gerade in hoher Blüthe des Wohlstandes stehenden Sechsstadt war, ging es gar streng und ehrbar zu, aber auf seinen vielfältigen Reisen lernte Georg leichte Sitten und rittermäßiges Benehmen. Den Frauen und Jungfrauen war er besonders gefährlich, denn er war schön von Gestalt und besaß große natürliche Beredsamkeit. Mit solchen Künsten wurde es ihm nicht schwer, das Herz einer ehrbaren Jungfrau, Namens Benigna Horschel, zu bethören und sie um ihre Unschuld zu betrügen. Der Vater derselben, welcher der Tuchmacherzunft angehörig war, verlangte, Emmerich solle seine Tochter heirathen und wieder zu Ehren bringen, aber Emmerich's stolze Familie wollte davon nichts wissen.
Diese Beschimpfung empörte die ganze Tuchmacherzunft und nährte den längst schon gährenden Haß gegen die übermüthigen Geschlechter. Es entstanden Zusammenrottungen, Aufläufe und Revolten. Die Kirche aber strafte den Sünder durch Auferlegung einer Buße, die dem reiselustigen Emmerich gerade recht war; sie gab ihm eine Pilgerfahrt nach Jerusalem auf, die er auch im Jahre 1465 antrat und dadurch den heimischen Unruhen entging. Es war aber Jemand in Görlitz, dem der Abschied von Emmerich gar schwer wurde, das war eine junge und schöne Wittwe, Namens Agnete Fingerin, welche schon längst heimlich für Emmerich glühte. Doch Liebe macht entschlossen. Sie verkleidete sich als Mönch und reiste ihm nach. Der Pilger war nicht wenig überrascht, als eines Tages ein fremder Mönch sich dem Zuge anschloß, der ihn plötzlich mit seinem Namen rief. Sie behielt die ganze Reise über ihre Mönchstracht bei, so daß Niemand ihr Geschlecht merkte. Die Reise ging über den Sinai und durch die arabische Wüste. In Jerusalem bemerkte Emmerich zu seiner großen Ueberraschung, daß die Lage des heiligen Grabes und der übrigen heiligen Stätten eine merkwürdige Aehnlichkeit mit der oben erwähnten Gegend bei Görlitz habe, und er faßte schon damals den Entschluß zur Erbauung eines heiligen Grabes in seiner Vaterstadt. Emmerich gewann in Jerusalem große Ehren, denn er wurde zum Ritter des heiligen Grabes geschlagen.
Nach Görlitz zurückgekehrt, wo man die früheren Mißhelligkeiten vergessen zu haben scheint, widmete er sich dem Gemeinwohl der Stadt und wurde auch im Jahre 1483 Bürgermeister. Im Jahre 1476 aber unternahm er eine zweite Reise nach Jerusalem. Diesmal schloß er sich der Pilgerfahrt des Herzogs Albrecht des Beherzten von Sachsen an und nahm zum Behufe seines beabsichtigten Baues einen Maler und einen Baumeister mit, welche genaue Bilder und Risse des heiligen Grabes aufnahmen. Zum zweiten Male zurückgekehrt, begann er den Bau so wie er noch heute zu sehen ist. Es hat sehr viel Geld gekostet, aber Emmerich konnte es aushalten. Er war so reich, daß ihn Luther den Görlitzer König zu nennen pflegte und das Volk ihn für einen Goldmacher hielt. Er besaß die Stadt Schönberg und siebzehn Dörfer um Görlitz, darunter viele Rittergüter. In der Stadt gehörten ihm sieben Häuser.
Das Regiment der Stadt scheint er sehr strenge geführt zu haben, denn die Sage berichtet, er habe einmal einen Bürger hinrichten lassen, blos weil er im umgekehrten Pelze zu seinem Weibe und Kindern in die Badestube gegangen sei, um sich mit diesen einen Scherz zu machen. (Gegen die Mummerei der Agnete Fingerin war er weniger streng). Auch wird erzählt, er habe seinen Gärtner wollen stranguliren lassen, weil er abgefallenes Obst gegessen.
Anmerkungen: Die Veranlassung zu der ersten Pilgerreise ist vielleicht historisch; einige aufgefundene gerichtliche Notizen sollen dafür sprechen. – Agnete Fingerin begleitete ihn nicht auf der ersten, sondern auf der zweiten Meise. Ihr Geschlecht war kein Geheimniß; in der oben citirten Beschreibung der Reise ist die Mede von „zwei Eheleuten aus Görlitz.“ Auch Agnete Fingerin, welche sehr reich war, machte eine Bußstiftung, bestehend in regelmäßigen Brodlieferungen an die Arnien. Solches Brod nannte man nach ihrem Namen Agnetenbrod, doch heißt es auch Pochnetenbrod (Meister apud Hoffmann 1. 2. 36.) Es wurde 1563 abgeschafft.
Quelle: Karl Haupt, Sagenbuch der Lausitz, Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann,1862