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Die heutigen Wendenkönige
Mündlich. Destinata lit. Lus. ' P. VII. p. 703.
Es ist eine alte Sage, daß die Wenden in der Niederlausitz noch heut zu Tage ihren König unter sich haben, den sie gemeinschaftlich aus ihrer Mitte wählen, ihm Krone und Scepter zustellen und jährlich zu seinem Unterhalte eine Kopfsteuer entrichten. Sie erweisen ihm alle königlichen Ehren und gehorchen seinem Befehle in allen, das ganze Volk betreffenden allgemeinen Angelegenheiten. Jedoch halten sie die Sache so geheim, daß alle Bemühungen, den rechten Grund zu erfahren und den König selbst unter den Bauersleuten ausfindig zu machen, bisher ohne Erfolg gewesen sind. So viel nur weiß man, daß die Königswürde in einer gewissen Familie erblich ist.
Diese Familie soll jedoch vor wenigen Jahren mit dem letzten Sproß des wendischen Königsstammes, einer alten siebenzigjährigen Frau, ausgestorben sein. Diese alte Frau hat es noch vor ihrem Tode sehr beklagt, daß sie Niemand offenbaren könne, was sie über diese Sache wisse. Der große Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg hat schon diesem im Verborgenen waltenden Könige eifrig nachforschen lassen. Es ist ihm auch einstmals ein kräftiger, schlanker und schöner Wendenjüngling als ihr König bezeichnet und gezeigt worden. Ein alter Bauer aber, der den Verrath gemerkt, hat den jungen Menschen zornig angeredet und gesagt: „Kerl, was stehst du hier gaffen! geh an deine Arbeit!„ ihn mit dem Stocke geschlagen und fortgetrieben. So verhütete er, daß der Kurfürst der Sache nicht weiter nachforschen konnte. Gewiß ist wenigstens, daß sich einmal ein Bauer an die Spitze eines aufsäßigen Haufens stellte und sich als ein König gebehrdete.
Als nämlich im Jahre 1548 Franz von Minkwitz seinen wendischen Unterthanen zu Ukro mehr Hofedienste zumuthete, als sie zu leisten schuldig zu sein glaubten, und die Widerspenstigen auspfänden ließ, kam die Sache zu einem förmlichen Aufstande. Unter der Anführung eines Königs berathschlagten sie miteinander, beschlossen alle für einen Mann zu stehen und eine Rede zu führen und widersetzten sich offen ihrem Herrn. Ein großer Theil der umliegenden wendischen Dörfer war in diesen Aufstand verwickelt, so daß der Landvoigt seine schwere Hand darauf legen mußte, den wendischen König greifen ließ und ihn am Leibe strafte. Dieser hatte sich verlauten lassen: dahin wolle er es wohl noch bringen, daß der Minkwitz ihm huldigen müsse.
Anmerkungen: Im Spreewalde knüpft sich die Sage vom letzten wendischen Fürsten an den Burgberg im Dorfe Burg, wo er residirt haben soll und wo man allerdings unter andern Alterthümern goldene Diademe gefunden hat. Noch heute bewahren hier wendische Bauernfamilien, anerkannt und mit Bewußtsein, den Glauben an fürstliche Abkunft.
Auch mehre Oberlausitzer Wendengeschlechter in der Gegend von Bautzen rühmen sich königlicher Abkunft. ( Preußker II. S. 187.)
Quelle: Karl Haupt, Sagenbuch der Lausitz, Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann,1862