<<< vorherige Sage | IX. Ortssagen | nächste Sage >>>
Die Schlimmen von Öderan
Staberoh, Chronik von Öderan. 1847, S. 197–201.
Im Jahre 1645 begann zwischen Öderan und dem Ritter Nikolaus von Schönberg auf Börnichen der Streit wegen des Hirtenfeldes. Letzterer verlangte das Grundstück, welches bereits seit Jahren von der Stadt bebaut worden war, zurück, unter dem Vorgeben, daß es zu den Fluren von Börnichen gehöre. In das Dunkel über diese Angelegenheit war kein Licht zu bringen, da die Urkunden in dem Kriege verbrannt, die alten Leute aber, welche Auskunft hätten geben können, an der Pest gestorben oder geflüchtet waren. Nachdem der Prozeß beinahe 4 Jahre geschwebt hatte, ging der Schafmeister vom Rittergute Börnichen, Caspar Witte, nach Böhmen, um für seinen Herrn 100 Stück Schafe zu kaufen, welche damals zu Tausenden für das ruinierte Böhmen aus Ungarn herauskamen. Der Schafmeister kam mit seinen Schöpsen glücklich bis auf die Eppendorfer Fluren, wo ihn eine Abteilung schwedischer Reiter anhielt und um 10 Schafe gegen Bezahlung bat. Doch der Schafmeister, rauh und trotzig wie sein Herr, und wohl wissend, daß die Schweden den Waffenstillstand achten mußten, verweigerte sie ihnen und trieb weiter. Allein die Schweden nahmen ihm nun die ganze Herde, schlugen ihn überdies und trieben die Schafe nach Öderan hinein, wo sie 50 Stück verkauften. Der geschlagene Schafmeister kam nun mit seinem Anhange nach der Stadt und verlangte seine Schafe zurück. Da er sie nicht erhielt, so brach er wenige Tage darauf des Nachts in Öderan ein und stahl die letzten noch übrig gebliebenen 20 Stück. Er wurde aber noch auf Öderaner Gebiet ertappt und nun als Schafdieb in Öderan gefangen gesetzt. Es war jetzt für ihn wenig Gnade zu hoffen, da der Kurfürst, ergrimmt über die überhand genommenen Räubereien, befohlen hatte, jeden Diebstahl mit dem Strange zu bestrafen. Der Prozeß wegen des streitigen Hirtenfeldes wurde unterdeß fortgeführt, bis gegen 1650 das Endurteil kam, welches lautete, »daß diejenige der streitenden Parteien das fragliche Hirtenfeld bei Öderan auf ewige Zeiten in Besitz haben sollte, welche zuerst ein Galgengericht darauf erbauen und solches auch zugleich mit einem Verbrecher bestätigen würde.« In einer und derselben Stunde wurde dieser Spruch in Öderan und Börnichen bekannt gemacht. Der Ritter von Schönberg sandte sogleich nach Meißen, einen Verbrecher dort abzuholen, wo solche Räuber und Mörder, die der Krieg erzeugt hatte, zu Dutzenden gefangen saßen und für Geld zu haben waren. Zugleich wurde ein Galgen zusammengezimmert und des Abends der Hof verschlossen, um ersteren am Morgen an Ort und Stelle aufzubauen.
In Öderan dagegen gab es weder Holz noch Zimmermann, ja kaum Axt und Säge. Teurung und Pest hatten die Bewohner bis auf 18 Bürger vermindert, welche an selbigem Tage eben erst aus dem Niederlande mit einigen Säcken Korn zur Aussaat sowie zur Speise heimgekehrt waren, denn die Not war in diesem Jahre noch schrecklich. Man lief ratlos zu einander und beriet, wo ein Galgengerüst herzunehmen sei, um das Feld zu behaupten. Am frühen Morgen des zweiten Tages, als eben der Ritter von Schönberg seinen Galgen nach dem Hirtenfelde abfahren lassen wollte, sah er mit Entsetzen durchs Fenster auf diesem Felde einen Galgen stehen und an demselben schon seinen Schafmeister aufgehenkt, dessen Urteil der Rechtsbeistand der Öderaner, mit Namen Matthesius, zugleich mit aus Dresden besorgt und in die Stadt gesendet hatte. »Seht, seht die Schlimmen von Öderan!« rief da der Ritter seinen Leuten zu, und befahl den Galgen wieder abzuladen. Daher die Redensart: »Die Schlimmen von Öderan!« Wie aber waren die Öderaner zu dem Galgen gekommen? Zwölf der Bürger hatten die Galgensäule auf dem Gahlenzer Berge aus dem alten Hochgericht ausgegraben, herübergetragen, aufgerichtet und den Schafdieb aufgehenkt. Der Ritter von Schönberg aber schloß noch an diesem Tage mit den Öderanern Frieden.
Quelle:
- Dr. Joh. Aug. Ernst Köhler:Sagenbuch des Erzgebirges, Verlag und Druck von Carl Moritz Gärtner, 1886.